„Die Verordnung wird es uns ermöglichen, neue Pflanzensorten zu entwickeln, die widerstandsfähiger gegen den Klimawandel sind und weniger Düngemittel oder Pestizide erfordern“, behauptet der dänische Agrarminister Jacob Jensen, der unbedingt vor dem Ende seiner Ratspräsidentschaft im Dezember eine Einigung erzielen wollte. Die Verhandlungsführerin des EP, Jessica Polfjärd (EVP), versprach „höhere Erträge auf weniger Land“ und eine „Stärkung der Ernährungssicherheit“. Und auch die Europäische Kommission, deren Entwurf vom Sommer 2023 im Wesentlichen übernommen wurde, begrüßte ihn vollmundig.
Die Regelungen im Einzelnen: Pflanzen, deren Erbgut mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) an höchstens 20 Stellen jeweils bis zu 20mal geändert wurde (NGT, Kategorie 1), gelten als gleichwertig mit herkömmlich gezüchteten Pflanzen. Einzige Ausnahmen: Sie sind herbizidresistent oder produzieren Insektizide. Pflanzen der Kategorie 1 brauchen keine Zulassung, ihr Risiko für Mensch, Tier und Umwelt muss nicht untersucht werden, es gibt keine Regeln für eine Koexistenz mit ökologischer und gentechnikfreier Land- und Lebensmittelwirtschaft.
Bei NGT 1-Pflanzen muss nur das Saatgut gekennzeichnet werden. In der weiteren Lebensmittelkette, also gegenüber verarbeitenden Unternehmen, Handel und den Verbraucher:innen, gibt es keine Kennzeichnungspflichten. Sie alle wissen also nicht, ob sie mit NGT 1-Pflanzen oder daraus hergestellte Produkte vor sich haben und können keine informierte Wahl mehr treffen. Dies würde für etwa 94 Prozent aller NGT-Pflanzen gelten, an denen derzeit in Laboren gearbeitet wird. Nur für die sechs Prozent Pflanzen, deren Erbgut mit NGT noch stärker verändert wurde oder in die Erbgut anderer Arten eingefügt wurde, sollen strengere Regeln gelten (NGT, Kategorie 2). Sie müssen weiterhin zugelassen und gekennzeichnet werden. Auch dürfen die Mitgliedstaaten deren Anbau ausschließen oder Koexistenzregeln erlassen.
Der Kompromiss kam nur zustande, weil die federführende Parlamentsverhandlerin Jessica Polfjärd von der Europäischen Volkspartei (EVP) das Parlamentsmandat aus der vorigen Legislaturperiode „nicht vertrat und bereitwillig über Bord schmiss“, kritisierte der grüne Europaabgeordnete und Schattenberichterstatter Martin Häusling. So hatte das EU-Parlament im Frühjahr 2024 eine Kennzeichnung bis zum Supermarktregal gefordert, die aber in den Verhandlungen ganz schnell beerdigt worden sei. Patente auf NGT 1-Pflanzen hatte das Parlament damals mehrheitlich abgelehnt. Im Kompromiss steht nun nach Angaben der dänischen Ratspräsidentschaft lediglich, dass die Hersteller von NGT 1-Pflanzen mitteilen müssen, welche Patente mit dieser Pflanze verbunden sind oder beantragt wurden. Diese Angaben sollen in eine öffentlich zugängliche Datenbank kommen. Darüber hinaus können die Patentinhaber freiwillig eine Lizenzierung unter einheitlichen Bedingungen anbieten. Eine Expertenkommission soll die weitere Entwicklung beobachten. Die EU-Kommission ist aufgefordert, ein Jahr nach Inkrafttreten der Regelungen ein Gutachten zu den Auswirkungen vorzulegen.
Besser abgesichert klingt es in der Medienmitteilung des EU-Parlaments. Dort steht, der Kompromiss „erlaubt Patente für NGTs, mit Ausnahme derjenigen Merkmale oder Sequenzen, die in der Natur vorkommen oder auf biologischem Wege hergestellt werden“. Laut Martin Häusling sei dieser Verweis auf die geltenden Regeln des Patentrechts jedoch nur als Erwägungsgrund in die Verordnung aufgenommen worden und bringe keinen neuen Rechtsschutz. Nicht näher ausgeführt werden auch die Schutzmaßnahmen, die das Parlament durchgesetzt habe, „um eine Marktkonzentration zu verhindern und die Erschwinglichkeit und den fairen Zugang für Landwirte zu gewährleisten, sodass diese das Recht behalten, Saatgut aufzubewahren und wieder anzupflanzen“.
Wie der endgültige Verordnungstext im Detail aussehen wird, lässt sich voraussichtlich erst Mitte Januar sagen, wenn die „informelle Vereinbarung“ aus dem Trilog in die Entwurfsfassung eingearbeitet wurde und diese übersetzt in alle EU-Sprachen an Parlament und Rat geht, wo sie die nötigen Mehrheiten finden muss. Damit ist dem Vernehmen nach im Februar oder März 2026 zu rechnen. Normalerweise gelten diese Abstimmungen als Formalie. Angesichts der beim Thema NGT knappen Mehrheiten in beiden Gremien ist es jedoch noch nicht sicher, dass dieser Kompromiss Gesetz wird. Falls ja gelten die neuen Regelungen nach einer Implementierungsphase von zwei Jahren. Genug Zeit für den Europäischen Gerichtshof, die Klagen zu behandeln, die dort mit ziemlicher Sicherheit eingehen werden. Denn im Sommer 2018 hatte der EuGH beschlossen, dass NGT aus Vorsorgegründen wie klassische gentechnische Verfahren geregelt werden sollten.
Bei Umwelt- und Bioverbänden sowie der gentechnikfreien Lebensmittelwirtschaft stieß die Trilogvereinbarung auf massive Kritik. Sie „ignoriert das europäische Vorsorgeprinzip – und sägt damit an einem zentralen Pfeiler des europäischen Umweltschutzes. Unsere Ökosysteme mit ihrer Tier- und Pflanzenwelt würden somit einem bislang unvorhersehbaren Risiko ausgesetzt“, kommentierte für den Naturschutzdachverband DNR dessen Geschäftsführer Florian Schöne. „Was Patente auf lebende Organismen angeht, ist gestern Nacht eine rote Linie überschritten worden“, sagte Tina Andres, Vorsitzende des Bio-Spitzenverbands BÖLW. Sie sprach von einem „Ausverkauf der europäischen Züchtungs- und Landwirtschaft an die Konzerne“. Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) stellte fest: „Die ganz große Mehrheit der Verbraucher:innen will keine Gentechnik im Essen.“ Doch der Aufwand, Lebensmittel gentechnikfrei zu halten, würde in Zukunft deutlich größer. „Die neuen Gentechnik-Regeln wären auch ein Preistreiber in den Supermärkten“, warnte Hissting.
Der europäische Verband der gentechnikfreien Wirtschaft ENGA warf den Fraktionen von EVP, Rechten und Rechtsextremen vor, auf Druck der Agrarindustrie- und Gentechniklobby die Schlüsselpositionen des Parlaments aufgegeben zu haben. Für die europäische Bio-Bewegung kommentierte Jan Plagge, Präsident von Ifoam Organics Europe: „Aufgrund hypothetischer Versprechungen über die potenzielle Nachhaltigkeit von NGTs wird die Zukunft der europäischen Züchtung, Landwirtschaft und Ernährung gefährdet, ebenso wie die Wahlfreiheit der Verbraucher.“ Er forderte das EU-Parlament auf, diesen Kompromiss abzulehnen und bei seinen ursprünglichen Forderungen zu bleiben. Anderenfalls werden sie „den Bäuerinnen und Bauern, dem Lebensmittelhandwerk und dem Lebensmitteleinzelhandel die Frage beantworten müssen, ob die so erfolgreich aufgebauten florierenden gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Märkte mutwillig zerstört werden sollen“, ergänzte die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.
Olaf Bandt, Vorsitzender des Umweltverbandes BUND wies darauf hin, dass im EU-Parlament eine Mehrheit für den Kompromiss nur zustande käme, wenn die EVP gemeinsam mit extrem rechten Fraktionen stimmen würde. „Wenn eine solche Allianz beschließt, dass 450 Millionen Menschen künftig gentechnisch veränderte Lebensmittel ohne Kennzeichnung essen müssen, dann ist das ein Tabubruch“, sagte Bandt. Bioland bezeichnete den Kompromiss als trojanisches Pferd: „Unter dem Deckmantel des Fortschritts schleichen sich Risiken, Abhängigkeit und Konzerninteressen in unsere Felder und auf unsere Teller.“ Demeter kommentierte: „Konzerninteressen und einseitiger, labortunnelblickartiger Wissenschaftsansatz setzen sich gegen Verbraucher:innen und Landwirtschaft durch.“ Judith Düesberg vom Gen-ethischen Netzwerk wies darauf hin, dass NGT es möglich machen, „Organismen viel weitgreifender zu verändern, als es mit bisherigen Methoden der Fall war“.
Für die Grünen im Bundestag sagte deren Berichterstatter Karl Bär: „Dieses Ergebnis übernächtigter Hinterzimmerverhandlungen darf nicht Gesetz werden.“ Sein Kollege Harald Ebner forderte Umweltminister Carsten Schneider und Landwirtschaftsminister Alois Rainer auf, „sich klar gegen diesen Trilog-Beschluss zu stellen“. Von der SPD meldete sich deren Europaabgeordnete Maria Noichl zu Wort: „Wir als Europa-SPD stehen weiterhin klar zu einem gentechnikfreien Europa und zu unserem Nein zur Deregulierung“. Auch der Deutsche Bauernverband kritisierte den im Trilog-Verfahren gefundenen Kompromiss scharf. „Bedauerlicherweise wurden Kernpositionen des Europäischen Parlaments in den Verhandlungen ohne Not aufgegeben“, sagte dessen Generalsekretärin, Stefanie Sabet, auf Anfrage des Infodienstes. Sie fügte hinzu: „Die nun zu erwartende Monopolisierung von Pflanzeneigenschaften durch einzelne Unternehmen wird absehbar dazu führen, dass unsere Landwirte und kleine und mittelständische Züchter den Zugang zu wichtigem genetischem Material verlieren.” Die im Kompromiss enthaltenen Vorschläge, um solchen negativen Entwicklungen entgegenzuwirken, seien praxisfremd und daher wirkungslos. [lf/vef]