Auf Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen debattierte der neugewählte Deutsche Bundestag bereits in seiner zweiten Plenarwoche darüber, ob NGT-Lebensmittel gekennzeichnet werden sollen. Denn die Zeit drängt: Bis Ende Juni will die polnische Ratspräsidentschaft zu einer Einigung zwischen den EU-Mitgliedstaaten, der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament über neue Regeln für NGT-Pflanzen kommen. Laut Grundgesetz kann der Bundestag die Bundesregierung auffordern, bei diesen Verhandlungen seine Position zu berücksichtigen.
Für die SPD-Fraktion gibt es offenbar keinen Zweifel: „Als SPD-Bundestagsfraktion sagen wir deshalb ganz klar: Die Kennzeichnungspflicht muss bleiben, auch bei neuen Gentechniken“, zitiert das Sitzungsprotokoll die Abgeordnete Isabel Mackensen-Geis. Verbraucher:innen hätten das Recht darauf zu wissen, was sie essen. „Transparenz und Wahlfreiheit sind die Basis für selbstbestimmten Konsum; denn damit werden wir in die Lage versetzt, den Markt mitzugestalten. Das ist moderne Verbraucherpolitik“, sagte die Agrarpolitikerin, die für die SPD den Koalitionsvertrag mit verhandelt hatte.
Ihr Kollege Christoph Frauenpreiß von der CDU hingegen sprach von Chancen der NGT-Pflanzen und ging auf die Kennzeichnung nur in zwei Nebensätzen ein. Gentechnikhinweise auf den Verpackungen seien „unnötige Warnhinweise“, die zu mehr Bürokratie führten. In die gleiche Kerbe schlug Alexander Engelhard von der CSU: „Eine Kennzeichnungspflicht entlang der gesamten Wertschöpfungskette würde ein Bürokratiemonster schaffen“, kritisierte der Inhaber einer Biomühle. Gleichzeitig forderte er jedoch, es müsse „eine klare Regelung auf den Weg gebracht werden, die den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Wahl lässt, was sie konsumieren wollen“. Wie diese sich entscheiden sollen, wenn sie die Produkte gar nicht auseinanderhalten können, sagte er nicht. Die Redner:innen von Grünen und Linken stellten sich hinter eine Kennzeichnungspflicht, die AFD lehnte sie ab. Der Antrag der Grünen wurde an den Agrarausschuss überwiesen.
Das Regierungspersonal selbst, also die zuständigen Minister für Agrar (CDU) und Umwelt (SPD), hat sich bisher zur Kennzeichnung von NGT-Pflanzen noch nicht positioniert. Agrarminister Alois Rainer hatte in seiner Antrittsrede im Bundestag lediglich versichert: „Wir stehen für mündige Bürgerinnen und Bürger, die selbst entscheiden, was in den Einkaufskorb oder auf den Teller kommt. Sie sollen sich gut informiert für einen gesunden und ausgewogenen Lebensstil entscheiden können.“ Wiederholt haben Umwelt- und Verbraucherschützer bereits darauf hingewiesen, dass diese Wahlfreiheit zwingend eine Kennzeichnung der NGT-Produkte voraussetzt. Vom neuen Umweltminister Carsten Schneider (SPD) war bis Freitagabend keine Stellungnahme zu dem Thema zu erhalten.
Was also würde passieren, sollte sich auch die neue Regierungskoalition in Sachen NGT-Pflanzen nicht einig werden? Ihre Vorgänger hatten sich bei Abstimmungen in Brüssel in solchen Fällen enthalten, was bei den anderen Mitgliedstaaten zu Unmut über die berüchtigte „german vote“ führte. Um das zu vermeiden, könnte der Bundeskanzler das deutsche Abstimmungsverhalten in Brüssel via Richtlinienkompetenz vorgeben. Daher fragte der grüne Abgeordnete Harald Ebner die SPD-Frau Mackensen-Geis im Bundestag, wie sie ihre Position in der Koalition durchsetzen wolle, „damit nicht das Bundeskanzleramt eine Weisung für die Entscheidung in Brüssel erteilt und am Ende keine Enthaltung, sondern ein Ja Deutschlands steht“? Es gebe „natürlich Diskussionen in der Koalition“, da das im Koalitionsvertrag nicht festgelegt sei, räumte Mackensen-Geis ein. Man werde sich darüber austauschen, wie das in früheren Regierungen auch üblich gewesen sei.
Unterdessen arbeiten sich in Brüssel Vertreter:innen von EU-Kommission, Parlament und Rat im sogenannten Trilog gemeinsam Paragraf für Paragraf durch ihre Regelungsentwürfe für NGT-Pflanzen und versuchen, sich über die strittigen Punkte zu einigen. Ob das bis zur nächsten offiziellen Trilogsitzung am 30. Juni abschließend gelingen wird, erscheint fraglich. Und selbst wenn, müsste der EU-Ministerrat das Ergebnis danach noch mit qualifizierter Mehrheit bestätigen. Diese Mehrheit war knapp, als der Rat im März – bei deutscher Enthaltung - das Mandat für den Trilog erteilte. Und Belgien hatte bereits damals angekündigt, einer Reglung am Ende nur zustimmen zu wollen, wenn sie eine ganze Reihe zusätzlicher Bedingungen erfüllen würde. Sollte die bevölkerungsreiche Bundesrepublik im Rat allerdings auf Weisung von Kanzler Merz für das Trilogergebnis votieren, würde die NGT-Verordnung selbst dann mit deutlicher Mehrheit verabschiedet werden, wenn mehrere andere EU-Länder wieder auf die Seite der Gegner wechseln würden. [lf/vef]