Bundesagrarminister Alois Rainer mit seinen parlamentarischen Staatssekretärinnen Silvia Breher (li.) und Martina Englhardt-Kopf. Foto: BMEL

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Die neue Bundesregierung und die Gentechnik

Im neuen Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD steht nichts zum Thema Gentechnik in der Landwirtschaft. Und mit Landwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU) und Umweltminister Carsten Schneider (SPD) sind ab sofort zwei Politiker für die Agro-Gentechnik zuständig, die bisher nichts damit zu tun hatten. Ökoverbände fordern, die neue Bundesregierung solle sich beim laufenden Gesetzgebungsverfahren in Brüssel dafür einsetzen, Produkte aus neuer Gentechnik (NGT) zu kennzeichnen und die Ökolandwirtschaft vor Verunreinigungen zu schützen.

Im Koalitionsvertrag der neuen „Arbeitskoalition“ vom April steht unter der Rubrik „Industriestandort Deutschland stärken“ der Satz: „Die Biotechnologie wird als Schlüsselindustrie gefördert und ihre Anwendungen werden regulatorisch erleichtert, auch mit Blick auf die neuen genomischen Techniken.“ Gemeint sind damit gen-editierte Mikroorganismen, die zunehmend in Fermentern eingesetzt werden, um Chemikalien oder Rohstoffe wie Fettsäuren oder Proteine herzustellen. Im Kapitel Landwirtschaft, Ernährung, Umwelt finden sich dagegen keine Aussagen zur Gentechnik. Unter der Überschrift „Moderne Landwirtschaft“ heißt es nur: „Wir erschließen die Chancen aus Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und Bioökonomie“. Die CDU wollte explizit die „Neuen Züchtungsmethoden (NGT)“ in dieser Aufzählung erwähnt haben, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Ebenso fielen die von der SPD gewünschten Einschränkungen zu NGT dem Einigungszwang zum Opfer. Geblieben ist lediglich eine allgemein formulierte Zielsetzung: „Wir schützen den selbstbestimmten Verbraucher umfassend und vorsorgend“ sowie die Sätze: „Verbraucherinnen und Verbraucher sollen selbstbestimmt entscheiden können. Wir unterstützen sie durch starke Rechte, Transparenz und Information.“ Das lässt sich auf den Autokauf ebenso beziehen wie auf Lebensmittel aus neuen gentechnischen Verfahren.

Da der Koalitionsvertrag zu NGT-Pflanzen nichts vorgibt, kommt den Grundhaltungen der zuständigen Minister (und ihrer Parteien) zu dem Thema besondere Bedeutung zu. Federführend fällt die Agrogentechnik in Alois Rainers Ressort. Der Niederbayer ist Metzgermeister mit eigenem Betrieb, gehört dem Bundestag seit 2013 an und leitete zuletzt den Haushaltsausschuss. Über sein einziges Zitat zur Agrogentechnik, das Google auswirft, berichtete der Infodienst Gentechnik bereits 2014: Honig mit gentechnisch veränderten Pollen müsse seiner Meinung nach nicht gekennzeichnet werden, sagte Rainer im Bundestag. Zugleich hob er hervor, dass man ja einfach deutschen Honig kaufen könne, da dieser mangels Anbau nicht mit Gentechnik verunreinigt sein könne.

Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG), ist optimistisch im Blick auf den neuen Agrarminister: „Als Praktiker aus der bodenständigen bayerischen Lebensmittelherstellung sollte der Metzgermeister Alois Rainer beim Thema Gentechnik die Interessen der Lebensmittelwirtschaft gut im Blick haben. Damit ist er prädestiniert dafür, sich für vernünftige Regeln auch für Neue Gentechnik (NGT) einzusetzen“, kommentierte Hissting Rainers Ernennung. Er verwies darauf, dass für Bayern und die bayerische Lebensmittelwirtschaft eine gesicherte Gentechnikfreiheit seit jeher besonders wichtig gewesen sei. So habe etwa Ilse Aigner als CSU-Bundesagrarministerin 2009 das staatliche „Ohne Gentechnik“-Siegel ins Leben gerufen.

Zuletzt hatte Rainers bayerische Amtskollegin Michaela Kaniber von der CSU ausdrücklich die Position des Europaparlaments im Hinblick auf den „Ausschluss der Patentierbarkeit“ und die „Kennzeichnungspflicht von Pflanzen und Erzeugnissen aller NGT-Kategorien“ begrüßt. Um diese Positionen ringen die EU-Parlamentarier mit der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten im Trilog zur NGT-Verordnung der EU-Kommission, der am 6. Mai begann. Der Vertreter Polens zeigte sich dabei nach Informationen aus Brüssel erneut entschlossen, bis zum 30. Juni, dem Ende der polnischen Ratspräsidentschaft, eine Einigung über eine Neuregelung herbeizuführen.  

Der neue Bundesumweltminister Carsten Schneider ist für die Auswirkungen alter und neuer Gentechnik auf die Umwelt zuständig. Dem Bundestag gehört er seit 1998 an; in der letzten Legislaturperiode war er Ostbeauftragter der Bundesregierung. Umwelt war bisher nicht sein Thema, der gelernte Bankkaufmann beschäftigte sich vor allem mit Finanzen. Er gehört dem Seeheimer Kreis an, dem konservativen Flügel der SPD. Fachlich hat sich im Umweltministerium vor allem das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit den Umweltauswirkungen von NGT beschäftigt. Dessen Arbeit bildete die Grundlage für ein kritisches Positionspapier des (damals grün geleiteten) Umweltministeriums von 2023.

Angesichts des ungeregelten Themas und der Fachferne der Minister kommt den beamteten Staatssekretären eine wichtige Rolle zu. Im Umweltministerium wird diese Aufgabe Jochen Flasbarth übernehmen, der sie bereits 2013 bis 2021 innehatte und zuvor das Umweltbundesamt leitete. Also ein ausgewiesener Umweltpolitiker mit einer klaren Haltung zur neuen Gentechnik. Schon 2016 mahnte er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters: „Es ist wichtig, auch hier die GVO-Zulassungskriterien anzuwenden, weil die Veränderung der Pflanze gravierende Auswirkungen haben kann und die Rückholbarkeit sonst nicht gewährleistet wäre“. Der Agrarminister muss seinen beamteten Staatssekretär noch bestimmen. Bis dahin bleibt die Grüne Silvia Bender im Amt. Sollte Rainer einen Befürworter von NGT-Pflanzen in dieses Amt holen, käme es wahrscheinlich wie in der letzten großen Koalition zu einem Patt, weil sich Landwirtschafts- und Umweltministerium nicht einig würden. Auf europäischer Ebene könnte dies wie in den Jahren 2013 bis 2021 zu deutschen Enthaltungen beim Thema Agro-Gentechnik führen.

Ökoverbände fordern die Bundesregierung dagegen auf, in Brüssel gegen die geplante Lockerung der Gentechnikregeln zu votieren. Der neue Agrarminister solle sich „auf EU-Ebene dafür stark machen, dass gentechnikfreies Wirtschaften weiterhin möglich bleibt“, sagte Bioland-Präsident Jan Plagge. Und Tina Andres vom Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft ergänzte: „Zum vorsorgenden Verbraucherschutz gehört, dass Pflanzen und Produkte mit NGT der bewährten Risikobewertung unterworfen und gekennzeichnet werden, bevor sie aufs Feld und ins Regal kommen. Die deutsche Regierung muss sich entschieden dagegenstellen, dass die EU-Kommission diese bewährte Praxis aufweicht.“  [lf/vef]

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