„Für mich ist ganz wichtig, dass wir Klarheit beim Verbraucher haben: Ist ein Produkt, das er kauft und isst, gentechnisch verändert?“, sagte Schneider. „Deswegen ist die Kennzeichnungspflicht ganz entscheidend.“ Solange diese Pflicht nicht gegeben sei, werde die Bundesregierung dem Vorschlag aus Brüssel nicht zustimmen. Zuvor hatte Schneider zudem eine Risikobewertung für Pflanzen aus neuer Gentechnik (NGT) gefordert sowie Schutzmaßnahmen für die gentechnikfreie Land- und Lebensmittelwirtschaft. Auch seine Minister- und Parteikollegin Stefanie Hubig (Verbraucherschutz) hält die Brüsseler Pläne für den „falschen Weg“. „Lebensmittel, die gentechnisch verändertes Material enthalten, sollten weiterhin als solche gekennzeichnet werden müssen“, schrieb sie dem Infodienst. „Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen echte Wahlfreiheit. Und echte Wahlfreiheit gibt es nur mit Transparenz.“
Ähnlich positionierten sich SPD-Vertreter:innen im Bundestag, zuletzt der Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch: „Neue Züchtungstechniken können Chancen bieten. Aber eines bleibt für mich unverrückbar: Die Menschen wollen wissen, was sie essen“, sagte er t-online. „Wenn Gentechnik im Spiel ist, muss das auch draufstehen.“ Eine Kennzeichnung schütze die Wahlfreiheit aller: „Verbraucherinnen und Verbraucher, Landwirtinnen und Landwirte und die gesamte Lebensmittelwirtschaft müssen frei entscheiden können, welche Produkte sie erzeugen, verarbeiten oder kaufen“, so Miersch. Der federführende Agrarminister Alois Rainer (CSU) dagegen hält sich seit seinem Amtsantritt bedeckt. Die Abstimmungen in der Bundesregierung liefen noch, sagte ein Ministeriumssprecher heute dem Infodienst - wohl noch bis zum Abend. Zu weiteren Details könne er sich nicht äußern. Spätestens morgen früh wird das Bundeswirtschaftsministerium als Weisungsgeber für den AStV I dem ständigen Vertreter Deutschlands in Brüssel mitteilen müssen, wie er sich beim Meinungsbild im zuständigen Ausschuss positionieren soll.
Als dieser Ausschuss der ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten (AStV) im März das Mandat für die Trilogverhandlungen mit Europaparlament und EU-Kommission erteilte, hatte Deutschland sich enthalten, weil die scheidende Ampelkoalition sich uneins war. Würde die bevölkerungsreiche Bundesrepublik das morgen beim Meinungsbild im AStV erneut tun, könnte es für eine Sperrminorität gegen das Trilogergebnis zur NGT-Verordnung reichen. Für die nötige qualifizierte Mehrheit braucht es 55 Prozent der 27 EU-Mitgliedstaaten, die zusammen 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Im März hatten 19 EU-Staaten, die nach Hochrechnung des Infodiensts Gentechnik knapp 69 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, dem Ratsmandat zugestimmt. Damit lag die Mehrheit nur knapp vier Prozent über der nötigen Quote. Sechs EU-Staaten hatten den Entwurf dem Vernehmen nach damals abgelehnt – darunter Österreich und Ungarn. Deutschland und Bulgarien hatten Enthaltung signalisiert.
Zünglein an der Mehrheitswaage waren im März Belgien (2,6 Prozent der EU-Bürger) und Griechenland ((2,3 Prozent der EU-Bürger). Belgien hatte allerdings schriftlich erklärt, dass es einem Trilogergebnis am Ende nicht ohne Weiteres zustimmen werde, wenn es keine Regeln zu Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von NGT-Pflanzen, zur Patentierung und zur Koexistenz mit der gentechnikfreien Landwirtschaft enthalte. Eine Partei der belgischen Regierungskoalition, die Engagierten (les engagés), teilte Anfang Dezember mit, das Trilogergebnis nicht zu unterstützen. Es spricht also einiges dafür, dass Belgien sich morgen enthalten könnte. Die Position anderer Staaten wie Rumänien und Griechenland, die sich bisher enthielten, scheinen noch nicht klar. Im Lager der Gegner werden Staaten wie Österreich, Ungarn oder Slowenien verortet, die den gesamten NGT-Vorstoß von Anfang an abgelehnt hatten.
Würde sich im AStV eine qualifizierte Mehrheit ergeben, könnte der Kompromiss bei jedem folgenden Ministerratstreffen ohne weitere Diskussion abgesegnet werden – unabhängig vom Fachgebiet der Minister. Allerdings können AStV-Mitglieder eine Debatte oder einen Beschluss des federführenden Agrarministerrates verlangen. Hält die Sperrminorität, würde die Aufgabe, eine Mehrheit zu erzielen, auf die nächsten Ratspräsidentschaften übergehen. Das sind Zypern bis Ende Juni 2026 und Irland in der zweiten Jahreshälfte. Offen ist, ob sie die diplomatischen Kapazitäten und das Interesse haben, sich so intensiv um das Thema NGT zu kümmern wie jetzt die Dänen.
Nicht nur die Mitgliedstaaten müssen den vorläufigen Trilogkompromiss noch endgültig beschließen, sondern auch das Europäische Parlament. Dort wird sich im Januar erst der Umweltausschuss (ENVI) mit dem Trilogergebnis befassen und voraussichtlich im Februar oder März das Plenum des Parlaments. Dabei werden ziemlich sicher Änderungsanträge gestellt werden, um von der Europäischen Volkspartei und der Rechten aufgegebene ursprüngliche Positionen des Parlaments wie die Kennzeichnung noch einmal abstimmen zu lassen. Würde in dieser zweiten Lesung einer der Änderungsanträge durchgehen, müsste der Kompromiss neu ausgehandelt werden. Selbst wenn sich morgen die nötige Mehrheit finden sollte, ist es also weiter nicht sicher, dass die im Trilog gefundene vorläufige Einigung am Ende tatsächlich Gesetz werden wird. [lf/vef]