Dossier

Nationale Anbau- und Importverbote

Deutsches Gentechnikgesetz muss ergänzt werden

 

Im Januar 2015 beschlossen EU-Parlament und Europäischer Rat den sogenannten Opt-Out-Mechanismus. Nach dieser Regelung in der EU-Freisetzungsrichtlinie können einzelne Mitgliedsstaaten erreichen, dass eine EU-weit zugelassene Gentechnik-Pflanze (GVO) auf ihrem Territorium nicht angebaut werden darf. Nach welchem Verfahren Deutschland diesen Opt-Out-Mechanismus nutzen kann, muss im Gentechnikgesetz geregelt werden. Ein Entwurf, den der ehemalige Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) dazu vorlegte, scheiterte im Mai 2017 im Bundestag. Damit verschiebt sich die Aufgabe in die nächste Legislaturperiode.

So funktioniert das Opt-Out:

Freiwillige Selbstbeschränkung ("Phase 1")

Während eines laufenden Zulassungsverfahrens kann ein EU-Mitgliedstaat via EU-Kommission beim Entwickler eines GVO den Antrag stellen, dass dieser freiwillig auf die Anbaugenehmigung für die Gentechnik-Pflanze im jeweiligen Land (ganzes Territorium oder teilweise) verzichtet.

Anbauverbot ("Phase 2")

Wurde eine Gentechnik-Pflanze in der EU zum Anbau zugelassen, kann ein Mitgliedstaat den Anbau auf dem eigenen Territorium verbieten oder einschränken. Dies muss begründet werden (allerdings nicht mit Umwelt- und Gesundheitsrisiken, denn dafür gibt es die "Schutzklausel"). Als Begründung können unter anderen umwelt-oder agrarpolitische Ziele sowie sozioökonomische Auswirkungen gelten.

Phase 1 ist nicht Voraussetzung, Phase 2 zu nutzen.

So sollte das Opt-Out ins deutsche Gentechnikgesetz kommen

Nach langem Ringen mit Bundesländern und verschiedenen Ministerien hat der zuständige Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) im Oktober 2016 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der ein kompliziertes Verfahren für ein deutsches Opt-Out vorsieht. Opposition, zehn Bundesländer sowie Verbände und Initiativen kritisieren, dass es damit nahezu unmöglich werde, den Anbau von Gentech-Pflanzen auf deutschem Territorium zu verhindern. Trotzdem verabschiedete das Bundeskabinett diesen Entwurf zur Ergänzung des Gentechnikgesetzes am 2. November und leitete ihn als eilbedürftig an Bundestag und Bundesrat weiter. Dort wurde der Gesetzentwurf, den auch die SPD-Fraktion im Bundestag für unzureichend hielt, bis Mai 2017 beraten. Die meisten Kritiker forderten, den Entwurf noch einmal grundlegend zu überarbeiten. Angeprangert wurden vor allem die kaum überwindbaren bürokratischen Hürden für ein gentechnikfreies Deutschland, die die Bundesregierung aufstellen wollte.

Die wesentlichen Kritikpunkte am Gesetzentwurf

Opposition, Bundesländer und Verbände kritisierten im Einzelnen:

  • das geforderte Einvernehmen von sechs Ministerien, das jedem Minister faktisch ein Vetorecht einräumt
  • die gleichzeitig nötigen Anträge von zwei Dritteln der Bundesländer, die in einer Frist von 35 Tagen substantiiert begründet werden müssen
  • die Tatsache, dass damit die Länder allein die Begründungslast und das daraus folgende Klagerisiko tragen, während die zuständigen Bundesbehörden außen vor bleiben
  • die Gefahr eines Flickenteppichs unterschiedlicher Regelungen, da einzelne Bundesländer für ihr Territorium GVO-Verbote einführen und abschaffen können
  • die Aufweichung der Nulltoleranz für Saatgut

Indem das geplante Gesetz bereits in Phase 1 (siehe oben) des Verbotsverfahrens die Angabe zwingender Gründe forderte, ging es über die EU-Richtlinie sogar hinaus.

Besonders verärgert über diese Pläne waren viele Bundesländer, die sich bereits 2015 auf einen Bundesratsentwurf zur Änderung des Gentechnikgesetzes geeinigt hatten. Diesen brachten dann die Grünen, die in zehn Bundesländern an der Regierung beteiligt sind, in den Bundestag ein. Außerdem hatten die Länder im Frühjahr 2016 mit dem Bund einen Kompromiss zur Opt-Out-Regelung erzielt. Über diesen habe sich der Bundesagrarminister mit seinem Gesetzentwurf einfach hinweg gesetzt, so der Vorwurf.

Nach der 1. Lesung im Bundestag am 2.12.2016 und der Stellungnahme des Bundesrats am 16.12. gab es am 16. Januar 2017 eine öffentliche Anhörung im Agrarauschuss des Bundestages. Befeuert von der allseitigen Kritik arbeitete Koalitionspartner SPD Änderungsanträge aus, auf die er sich dem Vernehmen nach mit den Agrarpolitikern der CDU-CSU-Fraktion bis Mai 2017 weitestgehend geeinigt hatte. Doch die Forschungspolitiker des Koalitionspartners legten ihr Veto ein und brachten ihres Ministers Gesetzesnovelle damit kurz vor der Bundestagwahl im September 2017 zu Fall.   

Juristische Gutachten bestätigten, dass bundesweite Gentechnik-Anbauverbote möglich und vermutlich auch rechtssicherer wären.

Gutachten zum Opt-Out:

WINTER, G. (2015):  Nationale Anbaubeschränkungen und -verbote für gentechnisch veränderte Pflanzen und ihre Vereinbarkeit mit Verfassungs-, Unions- und Völkerrecht (pdf)

WILLAND, A., BUCHHOLZ, G., MEYER-SCHWICKERATH, M. (2015):  Rechtsfragen einer nationalen Umsetzung der Opt-out-Änderungsrichtlinie (pdf)


Vorschlag der EU-Kommission

Im Juli 2010 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG vor. Den Mitgliedstaaten soll die Möglichkeit eingeräumt werden, den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen. Bio- und Umweltverbände, die Fraktion der Grünen/EFA im Europäischen Parlament sowie die Linkspartei kritisieren diesen Vorschlag. Das nationale Anbauverbot soll mit einer Beschleunigung des Zulassungsverfahrens von GVOs einher gehen. Die Kontaminationsgefahr durch angrenzende Mitgliedsaaten bleibt weiterhin bestehen. Vor allem birgt der Vorschlag keinen rechtssicheren Rahmen und könnte zu Anfechtungsklagen der Gentechnikindustrie gegen die Mitgliedsaaten führen. Bemängelt wird auch, dass die Kommission noch immer nicht der Forderung des Rates aus dem Jahr 2008 nachgekommen ist, das Zulassungsverfahren und die Risikoabschätzung durch die EFSA zu verbessern.


"Lepage-Bericht"

Im April 2011 legt der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments einen Bericht vor, indem er sich für eine Gentechnik-Verbots-Regelungen auf Ebene der Mitgliedsstaaten ausspricht. Allerdings soll ein nationales Gentechnik-Verbot auch aufgrund zu befürchtender Umweltrisiken oder eventueller ungewollter Auskreuzungen möglich sein. Ferner mahnt er die Kommission, den Forderungen des Rates von 2008 hinsichtlich der EFSA nachzukommen. Im Gegensatz zur Gentechnik-Lobby begrüßen Bio- und Umweltverbände den sogenannten Lepage-Bericht des EP-Umweltausschusses und fordern die Abgeordneten des EU-Parlaments auf, in ihrer 1. Lesung im Juli 2011 für den Vorschlag mit seinen Änderungsvorschlägen zu stimmen. 70.000 Bürger beteiligen sich an Brief und Email-Aktionen. Eine Petition des Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft fordert die Bundesregierung auf, sich auf EU-Ebene für ein nationales Verbot einzusetzen. Mit über 100.000 Unterzeichnern ein klares Signal gegen die Gentechnik aus der Bevölkerung.


Abstimmung im Parlament

Am 5. Juli 2011 stimmt das Europäische Parlament in seiner 1. Lesung mit großer Mehrheit für eine rechtssichere und umfassende Regelung für ein Verbot des Anbaus von gentechnisch veränderten Organismen durch einzelne Mitgliedsstaaten der EU. Die Europaabgeordneten haben wesentliche Änderungsvorschläge zum ursprünglichen Entwurf der EU-Kommission angenommen und die Verbotsgründe auf Umweltrisiken, wissenschaftliche Unsicherheiten sowie volkswirtschaftliche Schäden ausgeweitet. Der Entwurf fordert die Kommission auf, den einstimmig gefällten Beschluss des Umweltministerrats vom Dezember 2008 umzusetzen, die Mängel der bisherigen EU-Zulassungsverfahren zu beheben sowie verbindliche Haftungs- und Koexistenzregeln einzuführen. Ein großer Erfolg für die gentechnikkritische Bewegung. Über 66.000 Bürgerinnen und Bürger hatten mit einer Protest-Aktion an die Europaabgeordneten appelliert, dem Lepage-Bericht ohne Abstriche zuzustimmen.


Vorschlag der dänischen Ratspräsidentschaft

11.06.12 – Der Kompromissvorschlag der dänischen Ratspräsidentschaft zur Regelung der nationalen Gentechnik-Anbauverbote hat beim Umwelt-Ministerrat zum zweiten Mal nach März 2012 nicht die notwendige Mehrheit erlangt. Der Rechtsakt wird daher nicht verabschiedet. Entscheidend war die Blockadehaltung Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Belgiens. Der Vorschlag ist damit endgültig vom Tisch, die rechtliche Situation bleibt vorerst bestehen. Es ist noch unklar, ob das ab Juli dem Rat vorsitzende Zypern das Thema weiter verfolgt.

Die dänische Ratspräsidentschaft legte Anfang Februar ein Kompromisspapier zur Regelung der nationalen Gentechnik-Anbauverbote vor. Das Papier schlug Absprachen zwischen den Antragstellern und einzelnen Mitgliedsstaaten über ein regionales Anbauverbot vor, die vor der Zulassung durch die Kommission und spätestens 30 Tage nach der EFSA-Bewertung getroffen werden sollen. Besondere Gründe hätten nicht angegeben werden müsen. Die Einigung über ein regionales Verbot sollte Bestandteil der EU-weiten Zulassung sein. Die Möglichkeit, ein Verbot aus sozioökonomischen oder Umweltschutz-Gründen auch nach der EU-Zulassung zu erlassen, sollte nach wie vor gegeben sein. Besonders kritisch wurde eine Passage gesehen, wonach die Mitgliedsstaaten über die Verbote direkt mit den Gentechnik-Unternehmen verhandeln sollten.


Wiederbelebung der Debatte

Frühjahr 2014 - Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Zulassung der gentechnisch veränderten Maissorte 1507 belebt die EU-Ratspräsidentschaft (Vorsitz: Griechenland) den Vorschlag der EU-Kommission von 2010. Einige Änderungen wurden vorgenommen, doch insgesamt geht es nach wie vor um das "Opt Out" im Sinne der Kommission.

Der Bundesrat forderte die Regierung im April auf, deutliche Nachbesserungen am Entwurf zu erwirken und insgesamt die Risikobewertung zu überholen. Auch Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen forderten von der Regierung, sich nicht für das Opt Out, sondern für echte Anbauverbote und ein neues Zulassungsverfahren einzusetzen. Dennoch stimmte Deutschland im Umweltministerrat am 12. Juni für den Entwurf der Ratspräsidentschaft - ebenso wie 25 weitere der 28 EU-Staaten.

Nur Belgien und Luxemburg enthielten sich, weil sie die vorgesehenen Konsultationen mit Gentech-Konzernen - die Bedingung für ein Verbot sind - ablehnen. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) erklärte, die Kritik gehe ins Leere, es gebe keine Verhandlungen zwischen Staat und Konzernen, sondern nur zwischen Kommission und Konzernen.

Für Gentech-Kritiker ist das aber kein Grund zur Freude. Neben größerem Industrie-Einfluss befürchten sie vor allem, dass die nationalen Verbote nicht rechtssicher wären und von den Anwälten der Konzerne vor Gericht ausgehebelt werden könnten. Die Grünen berufen sich dabei auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestags. Hendricks wies auch diese Sorge als unbegründet zurück.

Anfang 2015 wurde das Opt-Out von EU-Parlament und Ministerrat beschlossen.

EU-Ratsbeschluss zum Opt-Out: 11.07.14
Vorschlag der griechischen Ratspräsidentschaft: 28. Mai 2014
The Parliament Magazine: GMOs decision marks end of 'three-year wait' for EU (21.10.14)
Hintergrundpapier: Warum die aktuellen Vorschläge für nationale Anbauverbote mehr Gentechnik auf den Acker bringen und Staaten von Konzernen abhängig machen (BÖLW/BUND Mai 2014)
Dokumente der EU: Genetically modified organisms GMOs: possibility for the Member States to restrict or prohibit the cultivation of GMOs in their territory
Entschließung des Bundesrates zu Gentechnik-Verboten (11.04.14)
Gemeinsamer Antrag von Abgeordneten der CDU/CSU, SPD, Die Linke, Bündnis90/Die Grünen: Möglichkeiten zum nationalen Ausstieg aus dem GVO-Anbau stärken und das GVO-Zulassungsverfahren novellieren (24.04.14)

Welche Positionen vertraten die Verhandlungsführer?

Minister: Der Vorschlag der Regierungen, den die Bundesregierung unterstützte, sieht ein Zwei-Phasen-Modell vor: Die erste Phase beinhaltet, dass die Regierung den jeweiligen Antragsteller – meist Konzerne wie Monsanto, Bayer oder BASF – fragen muss, ob dieser freiwillig auf den Anbau in dem Land verzichten würde. Nur wenn der Konzern das ablehnt, kommt es zur zweiten Phase: Die Regierung kann den Anbau untersagen. Dabei gelten aber starke Einschränkungen. Außerdem wären die Verbote nach Ansicht von Umweltverbänden nicht stabil genug, um vor Gericht zu bestehen.

vs.

Parlament: Der Gegenvorschlag des EU-Parlaments, ausgearbeitet durch die Liberale Frédérique Ries aus Belgien, enthielt viele wichtige Verbesserungen. Beispielsweise:

  • Konzerne werden nicht beteiligt: die Regierungen können vorschreiben, dass die Anbaugenehmigung für eine Gentechnik-Pflanze in ihrem Land nicht gilt bzw. den Anbau direkt verbieten.
  • die Rechtsgrundlage für das Verbot soll das EU-Umweltrecht (§192 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) sein, nicht – wie bislang – das EU-Binnenmarktrecht (§114). Dadurch steigt die Rechtssicherheit, weil Argumente gegen den Gentech-Anbau im Wesentlichen mit Umweltschutz zu tun haben. Klagen der Konzerne könnten so besser abgewehrt werden.
  • Es gibt eine detaillierte Liste von Argumenten, die Regierungen anführen können, um ihr Verbot zu untermauern, z.B. Schutz der Umwelt oder bestimmter landwirtschaftlicher und wirtschaftlicher Besonderheiten. Auch dadurch steigt die Rechtssicherheit.

Eine ausführliche Analyse der Positionen finden Sie hier (Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft)

"Opt-Out": Auf was einigte sich die EU nach jahrelangem Streit?

Nationale Anbauverbote waren früher nur möglich, wenn die Staaten aktuelle Studien vorlegten, die Hinweise auf Umwelt- oder Gesundheitsgefahren durch die jeweilige Gentechnik-Pflanze liefern. Immer wieder wurde vorgeschlagen, weitere Begründungen für Verbote zuzulassen, beispielsweise ethische oder ökonomische Argumente.Im Dezember 2014 einigten sich das EU-Parlament und der EU-Ministerrat auf einen Kompromiss. Dieser sieht unter anderem vor:

  • Konzerne werden nicht komplett aus dem Verfahren gestrichen. In einer ersten Phase können sie gefragt werden, ob sie einem freiwilligen Verzicht auf eine Anbaugenehmigung in einem bestimmten Land zustimmen. Tun sie das, gilt die Genehmigung dort nicht, die Gentechnik-Pflanze kann in diesem Land nicht angebaut werden. Anders als von den Ministern vorgeschlagen, soll der Versuch, einen solchen Deal zu schließen, aber nicht mehr zwingende Voraussetzung für ein Verbot durch eine Regierung sein.

  • Verbote können jederzeit während der 10-jährigen Laufzeit einer Anbaugenehmigung verhängt werden, nicht nur in den ersten zwei Jahren, wie von den Ministern vorgeschlagen.

  • Rechtsgrundlage bleibt das Binnenmarktrecht (§114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union). Das Parlament hatte das Umweltrecht (§192) vorgeschlagen.

  • Sicherheitsbedenken können kein Grund für ein Anbauverbot sein.

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