Der Supreme Court, das konservativ dominierte oberste Gericht der USA, soll Bayer helfen. Das Unternehmen hat dem Gericht den Fall Durnell mit der Bitte um Entscheidung vorgelegt. Ein Gericht in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri, dem Firmensitz von Monsanto, hatte dem Kläger im Oktober 2023 1,25 Millionen US-Dollar Schadenersatz für seinen Lymphdrüsenkrebs zugesprochen, den er auf den Einsatz von Glyphosat zurückführt. Bayer hatte Berufung eingereicht, doch das Berufungsgericht bestätigte im Februar 2025 das Urteil. Das oberste Gericht von Missouri lehnte eine Prüfung des Falls ab. Deshalb hat Bayer im April den US Supreme Court um Überprüfung gebeten.
Doch dieser lässt Bill Anderson warten. Er hat erst einmal den Solicitor General um eine Stellungnahme der amerikanischen Regierung zum Fall Durnell gebeten. Beim Solicitor handelt es sich um einen ranghohen Beamten des US-Justizministeriums, der die US-Regierung vor dem Obersten Gerichtshof vertritt und der auf Deutsch meist als Generalanwalt der Vereinigten Staaten bezeichnet wird. Erst danach wird das Gericht entscheiden, ob es sich mit dem Fall befasst, wobei es oft dem Votum des Solicitor General folgt. Bayer hatte bereits 2022 zweimal erfolglos versucht, dem Obersten Gerichtshof eine Glyphosatklage vorzulegen. Sollte das Gericht diesmal die Klage annehmen, hofft der Konzern auf ein Urteil bis Ende Juni 2026.
Bayer begründet den erneuten Anlauf damit, dass es unter den 28 bisher vorliegenden Entscheidungen widersprüchliche Urteile der Bundesberufungsgerichte zu einer entscheidenden Rechtsfrage gebe. Die Klagenden hatten zumeist angeführt, dass Monsanto sie nicht vor einer möglichen Krebsgefahr durch Roundup gewarnt hatte. Zahlreiche Gerichte schlossen sich, unter Verweis auf das Recht des jeweiligen US-Bundesstaates, dieser Position an und verurteilten Bayer zu Schadenersatz. Auch zwei Bundesberufungsgerichte sahen dies so. Ein drittes Bundesberufungsgericht stellte sich jedoch hinter Bayers Argumentation: Die Umweltbehörde EPA habe Glyphosat aufgrund eines Bundesgesetzes zugelassen und als nicht krebserregend eingestuft. Deshalb wäre eine Krebswarnung gar nicht zulässig gewesen. Diese widersprüchlichen Entscheidungen machten eine Überprüfung durch das oberste Gericht der USA erforderlich, schrieb Bayer und kommentierte die Verzögerung so: „Wir sehen das als ermutigenden Schritt und freuen uns darauf, die Position der Regierung zu erfahren.“
Doch diese ist denkbar unklar. Zwar passe die Bayer-Strategie zum wirtschaftsfreundlichen und regulierungsfeindlichen Kurs von US-Präsident Donald Trump, schrieb der Courthouse News Service. Doch stehe sie im Widerspruch zu den Bemühungen von Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. Dessen Kampagne Make America Healthy Again (MAHA, Macht Amerika wieder gesund) zielt auf den hohen Pestizideinsatz der Landwirtschaft. Kennedy selbst habe als Anwalt Glyphosatklagen vertreten, heißt es beim ACS Network. Insofern dürfte Bayer der Stellungnahme des Solicitor General eher angespannt entgegensehen.
Doch hat der Konzern vorgebaut und beackert seit Monaten intensiv die politische Landschaft in den USA. Dazu hat Bayer die Modern AG Alliance gegründet. Dieser Allianz für moderne Landwirtschaft gehören 365 landwirtschaftliche Organisationen und ihnen nahestehende Universitätsinstitute an. Sie sollen die Botschaft verkünden, dass Glyphosat sicher ist, die Lebensmittelpreise sich ohne den Wirkstoff verdoppeln würden und die Ernährungssicherheit gefährdet wäre. „Bayer hat die Staaten des Mittleren Westens mit Plakaten, Radio- und Fernsehspots überzogen, die die Vorteile von Roundup anpreisen und davor warnen, dass eine Einschränkung des Einsatzes die Lebensmittelsicherheit beeinträchtigen und die Preise für Lebensmittel erhöhen würde“, schrieb der Wisconsin State Farmer.
Gleichzeitig soll die Allianz Druck für Gesetze machen, die gesundheitsbedingte Klagen gegen Pestizidhersteller verbieten, sobald ein Wirkstoff von der US-Umweltbehörde EPA als sicher zugelassen wurde. In elf landwirtschaftlich geprägten US-Bundesstaaten hat die Allianz solche Gesetze auf den Weg gebracht. In Georgia und Nord Dakota wurden sie bereits beschlossen, in Florida, Idaho, Iowa, Mississippi, Missouri, Montana, Oklahoma, Tennessee and Wyoming liegen sie als Entwürfe vor. In Georgia zeigte sich auch die Zerrissenheit der republikanischen Partei. Deren MAHA-Flügel hatte den Gouverneur erfolglos bedrängt, sein Veto gegen das Gesetz einzulegen. Gleichzeitig hatte ein Gericht in Georgia Bayer im März zu einem Rekordschadenersatz von mehr als zwei Milliarden US-Dollar verurteilt. Das Unternehmen kündigte an, in Berufung zu gehen.
Sollten der Oberste Gerichtshof dem Konzern nicht wie geplant beistehen, würde das Unternehmen „verstärkt auf die anderen Maßnahmen setzen“, sagte Bayers Cheflobbyist Matthias Berninger der Wirtschaftswoche. „Dazu zählen nach früheren Angaben auch der Ausstieg aus dem Glyphosat-Geschäft in den USA und eine Insolvenz von Monsanto“, schrieb das Magazin dazu und ließ Berninger bestätigen: „Wie mehrfach kommuniziert, ist da nichts vom Tisch.“ Ob diese Drohkulisse tatsächlich wirkt, ist offen. Dann komme das Glyphosat eben aus China, schrieb dazu der Wisconsin State Farmer. Zumindest künftige Klagen von Landwirten könnte der Konzern damit aber vermeiden. Über die angedrohte Insolvenz von Monsanto berichtete zuerst das Wallstreet Journal. Demnach strebe Bayer für zahlreiche noch offene Klagen in Missouri einen Vergleich an. Sollte dies scheitern, käme auch eine Insolvenz in Betracht. Bayer habe bereits eine Anwaltskanzlei und eine Beratungsfirma engagiert, die diesen Plan prüfen würden, schrieb das Journal. Ein solches Vorgehen hat schon der US-Pharmakonzerns Johnson&Johnson ausprobiert. Das Unternehmen ist mit über 60.000 Klagen wegen eines angeblich mit Asbest verseuchten Babypuders konfrontiert und hatte erfolglos versucht, diese Klagen mit der Insolvenz einer Tochterfirma vom Tisch zu bekommen. Die Gerichte hatten das Vorgehen für unrechtmäßig erklärt. [lf]