Die Motion 133 fordert ein Moratorium für die genetische Veränderung von wildlebenden Arten in natürlichen Ökosystemen. Eingebracht hat den Vorschlag die französische Umweltorganisation Pollinis, unterstützt von weiteren Organisationen aus Benin, Kanada, Ecuador, Deutschland, Pakistan und der Schweiz. Aus ihrer Sicht verstößt die Freisetzung gentechnisch veränderter Arten gegen Werte und Prinzipien des Naturschutzes. Denn solche Freisetzungen in natürliche Ökosysteme seien irreversibel, könnten zu unvorhersehbaren räumlichen und zeitlichen Auswirkungen führen und Ökosysteme erheblich schädigen. Auch würden dadurch wirksame Naturschutzstrategien untergraben, die vielfach auf dem traditionellen Wissen und den Praktiken indigener Völker und lokaler Gemeinschaften beruhten.
Deshalb soll der Weltnaturschutzkongress ein „Moratorium für synthetische Biologie und damit verbundene technologische Ansätze“ beschließen. Gelten soll es für „genetisch veränderte wildlebende Organismen in natürlichen Ökosystemen“, für „veränderte mikrobielle Gemeinschaften“ und für gentechnisch veränderte Organismen mit einem Gene Drive, der die Vererbung beschleunigt. Auch sollen keine neuen genetischen Elemente in natürliche Ökosysteme eingebracht werden. Das Moratorium soll so lange gelten, bis es ein Weltnaturschutzkongress der IUCN formell wieder aufhebt.
Die Motion 87 betont dagegen Chancen und Risiken gentechnischer Anwendungen in der Natur gleichwertig und plädiert für eine Fall zu Fall-Entscheidung, der eine „strenge, umfassende und transparente“ Risikobewertung zugrunde liegen soll. Deren Detailschärfe soll „der Bedeutung der Risiken und Vorteile entsprechen, beabsichtigte und unbeabsichtigter Auswirkungen, Wechselwirkungen“ sowie kurz- und langfristige Effekte umfassen. Betont wird auch die notwendige „freie, vorherige und informierte Zustimmung“ betroffener indigener Völker und lokaler Gemeinschaften sowie deren faire und gerechte Beteiligung an möglichen Erträgen. Entstanden ist dieses Papier in einer Arbeitsgruppe, die vom Weltnaturschutzkongress 2021 in Marseille eingesetzt wurde, um eine „IUCN-Politik zur synthetischen Biologie in Bezug auf den Naturschutz“ zu entwickeln. An ihr beteiligten sich zahlreiche Gentechnikbefürworter:innen, etwa die von der Bill und Melinda Gates Stiftung finanzierte Organisation Target Malaria. Sie will gentechnisch veränderte Moskitos mit Gene Drive freisetzen, um die tropische Krankheit zu bekämpfen. Manche Mitgliedsorganisationen der IUCN plädieren dafür, mit Gentechnik invasive Arten zu bekämpfen oder gefährdete Arten wie die amerikanische Kastanie zu retten.
Zahlreiche Umweltorganisationen kritisierten den Prozess als intransparent, unausgewogen und bemängelten die fehlende Beteiligung indigener Völker und lokaler Gemeinschaften. Sie kritisierten auch, dass die IUCN das „stark voreingenommene“ International Centre for Genetic Engineering and Biotechnology“ in die Erarbeitung des Papiers eingebunden habe. Dies stelle einen klaren Interessenkonflikt dar. Deshalb stiegen zahlreiche Umweltorganisationen aus dem Prozess aus und legten eine eigene Resolution für ein Moratorium vor. Die Befürworter von Gene Drives hingegen stellten sich hinter die Motion 87 und sprachen von einem ausbalancierten Vorgehen. Auch zahlreiche Gentechniker:innen und mit ihnen zusammenarbeitende Umweltorganisationen haben sich für die Motion 87 ausgesprochen.
Diese enthält in ihrer aktuellen Version einen nachträglich eingefügten roten Absatz: „Wenn die Vorgaben dieser Richtlinie nicht angewendet werden, sollten Anträge auf Freisetzung in natürliche Ökosysteme von genetisch veränderten wildlebenden Organismen, zur Veränderung mikrobieller Gemeinschaften oder zur Erzeugung neuartiger genetischer Elemente in natürlichen Ökosystemen von den zuständigen Stellen nicht genehmigt oder anderweitig weiterverfolgt werden.“ Ob es den Gentechnik-Befürworter:innen mit dieser Ergänzung gelingt, zusätzliche Stimmen einzufangen, wird sich in den kommenden Tagen in Abu Dhabi zeigen. [lf]