Glyphosat Herbizid
Herbizid im Einsatz (Foto: Chafer Machinery / flickr, Chafer Sentry, Applying Defy at 250l/ha on wheat land in Lincolnshire, bit.ly/29E6Sk4, creativecommons.org/licenses/by/2.0)

EFSA erteilt Freifahrtschein für Glyphosat

12.07.2023

Die EU-Lebensmittelbehörde EFSA hat ihre Bewertung für die Neuzulassung des Herbizidwirkstoffs Glyphosat abgeschlossen. Sie sieht keine kritischen Probleme, nur einige Datenlücken. Damit stünde aus Sicht der EFSA einer erneuten Zulassung von Glyphosat nichts im Wege. Umweltverbände fordern, das EU-Zulassungssystem für Pestizide grundlegend zu reformieren.

Die EFSA schrieb, sie habe in ihrer Bewertung des Wirkstoffs Glyphosat „keine kritischen Problembereiche ermittelt, die in Bezug auf das von ihm ausgehende Risiko für Mensch und Tier oder die Umwelt Anlass zu Bedenken geben“. Ein solcher, kritischer Problembereich müsste alle Anwendungen von Glyphosat betreffen und stünde einer Genehmigung oder deren Erneuerung entgegen, erläuterte die Behörde. Im Umkehrschluss heißt das: Glyphosat kann aus Sicht der EFSA erneut genehmigt werden. Die EFSA hatte Glyphosat zuletzt 2016 als unbedenklich bewertet. Deshalb war es nicht überraschend, dass die Behörde bei ihrer positiven Bewertung blieb. Doch ganz abtun konnte sie die zunehmenden Belege für die Schädlichkeit des Totalherbizids in ihrer Mitteilung nicht.

Was die Risiken für Menschen angeht, erklärte die EFSA, sie habe für ihre Risikobewertung die Gefahreneinstufung der Europäischen Chemikalienagentur ECHA „verwendet“. Diese Formulierung lässt offen, ob die EFSA die Bewertung ihrer Schwesterorganisation überprüft oder nur übernommen hat. Die ECHA kam 2022 zu dem umstrittenen Ergebnis, Glyphosat erfülle „die wissenschaftlichen Kriterien für eine Einstufung als karzinogener, mutagener oder reproduktionstoxischer Stoff“ nicht. Im Hinblick auf die Ökotoxikologie, also die Giftigkeit für die Umwelt, räumte die EFSA ein, dass „für 12 von 23 vorgeschlagenen Verwendungen von Glyphosat ein hohes langfristiges Risiko für Säugetiere ermittelt wurde“.

Zu den Auswirkungen auf die Biodiversität hieß es, diese seien komplex und von mehreren Faktoren abhängig. Zudem würden harmonisierte Methoden und einheitliche Schutzziele fehlen. „Insgesamt lassen die verfügbaren Informationen keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu diesem Aspekt der Risikobewertung zu, und Risikomanager können Maßnahmen zur Risikominderung in Betracht ziehen“, schrieb die EFSA. Da Risiken zu managen eine ureigene Aufgabe der Politik ist, könnte man das auch als Aufforderung lesen, Glyphosat zu verbieten oder mit strengen Auflagen zu verbinden, um das Risiko für die Artenvielfalt zu minimieren.

Man habe auch Studien berücksichtigt, die über Auswirkungen auf das Mikrobiom berichten, schrieb die Behörde weiter und merkte an, dass es derzeit „keine international vereinbarten Leitlinien für die Risikobewertung des Mikrobioms im Bereich der Pestizide“ gebe und weitere Forschungsarbeiten erforderlich seien. Kurz gesagt: Ohne Leitlinie keine EFSA-Bewertung. Widersprüchlich äußert sich die Behörde zur Neurotoxizität. Einerseits heißt es: „Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Glyphosat als Wirkstoff ein neurotoxisches Potenzial hat.“ Im nächsten Satz steht dann: „Allerdings zeigen Daten aus der öffentlich zugänglichen Literatur über Formulierungen auf Glyphosatbasis und eine Studie mit einem (in der EU nicht zugelassenen) Glyphosatsalz Auswirkungen auf die Entwicklungsneurotoxizität“.

Die Lobbywächter von Corporate Europe Observatory schließen daraus: „Die EFSA stützt sich, ähnlich wie die ECHA und die nationalen Behörden, bei ihren Bewertungen überwiegend auf Studien der Industrie.“ Das mangelhafte EU-Zulassungssystem für Pestizide vernachlässige eine Fülle unabhängiger und von Fachleuten überprüfter wissenschaftlicher Studien, „die belegen, dass Glyphosat genotoxisch und neurotoxisch ist, das Darmmikrobiom schädigt und schwerwiegende Schäden an Böden, Wasserlebewesen und der biologischen Vielfalt verursacht“. Auch für Daniela Wannemacher vom Umweltverband BUND ist das System dringend reformbedürftig: „Die Empfehlung der EFSA zeigt erneut, dass die europäische Pestizid-Zulassung die Gefahren für Gesundheit und Ökosystem weitgehend ignoriert.“ Der Toxikologe Peter Clausing wertete die Schlussfolgerung der EFSA als einen „Schlag ins Gesicht vieler unabhängiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die seit der Bewertung durch die Krebsagentur IARC im Jahr 2015 zahlreiche Studien veröffentlicht haben, die das Gefahrenpotenzial von Glyphosat belegen“. Er erinnerte auch an den vor fünf Wochen bekanntgewordenen „Pestgate“-Skandal. Mehrere Medien hatten aufgedeckt, dass große Pestizidhersteller bei der EU-Zulassung von Wirkstoffen Studien über deren Neurotoxizität zurückgehalten hatten.

Die EFSA teilte mit, dass sie die ausführlichen Schlussfolgerungen aus ihrer Risikobewertung der EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten übersandt habe. Sie sollen „voraussichtlich vor Ende Juli 2023 und die Hintergrunddokumente, die mehrere Tausend Seiten umfassen, voraussichtlich zwischen Ende August und Mitte Oktober 2023 veröffentlicht“ werden, schrieb die Behörde. Die Verzögerung begründete sie damit, dass die Glyphosathersteller erst noch die Möglichkeit hätten, für personenbezogene Daten oder sensible Geschäftsinformationen Vertraulichkeit zu beantragen. Auf Grundlage der EFSA-Bewertung wird die EU-Kommission nach der Sommerpause den Mitgliedstaaten einen Vorschlag machen, ob die am 15. Dezember 2023 auslaufende Zulassung für Glyphosat erneuert werden soll und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft, Greenpeace, das Pestizid Aktions-Netzwerk und andere Organisationen forderten die Bundesregierung und alle EU-Mitgliedstaaten auf, dagegen zu stimmen. [lf]

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