AbL-Vertreter:innen übergeben eine Petition gegen neue Gentechnik an Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Foto: Volling/AbL
AbL-Vertreter:innen übergeben eine Petition gegen neue Gentechnik an Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Foto: Volling/AbL

Neue Gentechnik: Fällt der Startschuss für den Trilog?

06.02.2024

Im Gesetzgebungsverfahren für gelockerte Regeln für neue gentechnische Verfahren (NGT) in der Landwirtschaft werden in Brüssel und Straßburg morgen zwei wichtige Entscheidungen erwartet: Das Europäische Parlament (EP) wird am Mittag über eine Vorlage seines Umweltausschusses entscheiden, die NGT noch mehr freigeben will als die Europäische Kommission. Auch beim Treffen der ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten steht das Thema auf der Tagesordnung. Ziel beider Organe ist, schnellstmöglich den Auftrag für einen Trilog von Rat, EP und EU-Kommission zu erteilen. Ob die nötigen Mehrheiten erreicht werden, wird sich zeigen müssen.

Die Abgeordneten des EP diskutierten bereits heute über den Verordnungsentwurf der konservativen Berichterstatterin Jessica Pölfjard (EVP), den der Umweltausschuss Ende Januar nur wenig verändert verabschiedet hatte (der Infodienst berichtete). Liberale, Konservative und rechte Europaabgeordnete befürworteten erneut, NGT-Pflanzen denen aus herkömmlicher Zucht nahezu gleichzustellen, um die europäische Landwirtschaft wettbewerbsfähig zu halten und wissenschaftliche Innovation zu fördern. Und obwohl es, wie der grüne Martin Häusling betonte, bislang faktisch nur eine NGT-Pflanze mit Klimabezug gibt, behaupteten mehrere Parlamentarier:innen unverdrossen, Techniken wie Crispr/Cas könnten Pflanzen besser an den Klimawandel anpassen und außerdem Pestizide einsparen.

Dabei scheint fraglich, ob die konservativ-liberale Mehrheit im EP geschlossen für eine derart weitgehende Lockerung der NGT-Vorschriften stimmen wird. Zum einen kann sie wohl nicht auf die Abgeordneten gentechnikkritscher EU-Staaten wie der Slovakei oder Ungarn zählen. Zum anderen wies vergangene Woche in München das Bündnis für eine gentechnikfreie Natur und Landwirtschaft in Bayern, dem 30 Organisationen angehören, auf einen parteiinternen Widerspruch hin: Einerseits muss das CSU-regierte Bundesland qua Gesetz und Koalitionsvertrag gentechnikfrei sein. Zugleich setzt sich der CSU-Abgeordnete und EVP-Fraktionschef Manfred Weber im EP für einen Entwurf ein, der die bayrische Regelung verbieten würde. Die bayrischen CSU-Granden müssten ihre EU-Kolleg:innen zur Raison rufen, forderte das Bündnis bei der Übergabe einer Petition gegen die Deregulierungspläne der EU-Kommission in München. Sämtliche Bio-Bauern und sehr viele ihrer konventionellen Kollegen in Bayern wollten auch künftig gentechnikfrei wirtschaften.

Außerdem haben 270 deutsche und internationale Unternehmen der Lebensmittelbranche einen offenen Brief an den EVP-Fraktionschef Weber unterzeichnet. Sie fordern unter anderem, die Gentechnik-Kennzeichnung in der Zutatenliste von Lebensmitteln zu erhalten, die der Parlaments-, wie der Kommissionsentwurf abschaffen wollen. Für gentechnikfreie Fütterung gibt es zusätzlich ein freiwilliges Siegel: „Schon seit 2010 füttern alle Landwirt:innen garantiert ohne Gentechnik und wir kennzeichnen die Milch … mit dem VLOG zertifizierten Label ‚Ohne Gentechnik‘“, erläutert etwa Bernhard Pointner, Geschäftsführer der Molkereigenossenschaft Berchtesgadener Land. „Dass das so bleibt, dafür setzen wir uns ein.“

Dass die geplanten Regeln auch für den Biolandbau eine „Katastrophe“ wären, davor warnten heute grüne Abgeordnete im EP. Vertreter von Ungarn und der Slovakei kritisierten ferner, es sei ein Eingriff der EU in die nationale Souveränität, wenn die EU-Mitglieder NGT-Pflanzen auf ihrem Staatsgebiet nicht verbieten dürften. Und wenn die EU-Entwürfe suggerierten, sie könnten Patente auf angeblich naturidentische NGT-Pflanzen verhindern, streuten sie den Bürgern Sand in die Augen, ergänzte der Grüne Martin Häusling. Vor allem grüne und linke Abgeordnete haben mehr als 300 Änderungsanträge zum vom Umweltausschuss beschlossenen Regelungsentwurf gestellt, die morgen abgestimmt werden müssen. Für die EU-Kommission wies Gleichstellungskommissarin Helena Dalli alle Kritik zurück. Ihr Entwurf sei ein ausgewogenes Regelwerk, das den Bedarf der Gesellschaft ebenso wie die Sicherheit berücksichtige.

Vermisst wurde im EP ein interessierter Zuhörer der belgischen Ratspräsidentschaft. Die will nach Angaben einer EU-Quelle morgen versuchen, vom Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (ASTV) ein Mandat für den Start von Trilogverhandlungen über eine neue NGT-Regelung zu erhalten. Dafür müsste der ASTV mit qualifizierter Mehrheit den spanischen Kompromissvorschlag vom Dezember verabschieden, den die belgische Ratspräsidentschaft dem Vernehmen nach nur minimal verändert hat. Von daher erscheint es fraglich, dass Länder der bisherigen gentechnikkritischen Sperrminorität ins Lager der Befürworter wechseln. Käme die qualifizierte Mehrheit jedoch zustande, könnten die Botschafter bei der EU nach Angaben der Quelle ein Mandat erteilen, da diese im Auftrag ihrer Regierungen abstimmen. „Das AStV-Verhandlungsmandat würde als gemeinsamer Standpunkt des Rates dienen“, erläutert die EU-Mitarbeiterin. Habe auch das EP ein entsprechendes Mandat erteilt, könnte der Trilog direkt beginnen. Wegen der anstehenden Europawahl im Juni müsste er bis Ende Februar abgeschlossen sein.

Bauern-, Verbraucher- und Umweltorganisationen sind entsetzt: Ein gutes Dutzend von ihnen, vorwiegend aus Frankreich und Deutschland, forderten heute vor dem Europaparlament in Straßburg, die geplante NGT-Verordnung abzulehnen. „Die Kriterien, nach denen festgestellt wird, ob eine NTG-Pflanze einer konventionellen gleichwertig ist, entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage“, monieren die Franzosen, deren staatliche Behörde für Lebensmittelsicherheit (Anses) die europäischen Pläne wie berichtet im Dezember massiv kritisierte. Diese Pläne könnten „zu einer Flut von gentechnisch veränderten Pflanzen in Europa führen, ohne Risikobewertung, ohne die Verbraucher zu informieren, und würden unser Landwirtschaftsmodell weiter in eine Sackgasse führen“, warnen die 13 französischen Organisationen.

Auch die Allgäuer Biobäuerin Barbara Endraß nimmt die Europaparlamentarier in die Pflicht: „Sichern Sie die aktuellen Wettbewerbsvorteile europäischer Bäuer:innen, die sich gentechnikfreie Märkte aufgebaut haben, die den klaren Wünsche der europäischen Verbraucher:innen nach gentechnikfreien Produkten nachkommen“, fordert sie bei der Übergabe der von ihr initiierten Petition „Kennzeichnung und Regulierung aller Gentechnikpflanzen erhalten!“ in Straßburg. Fast 93.000 Menschen haben inzwischen unterschrieben. Fast 130000 verlangten von den EP-Abgeordneten via Email, eine weitgehende Freigabe von NGT-Pflanzen zu verhindern. „Im Vorfeld der Europawahlen fordere ich Sie auf, sich für das Recht der Verbraucher einzusetzen und die Kennzeichnung und Risikoprüfung neuer Gentechnik beizubehalten“, heißt es in den Schreiben, deren Flut Abgeordnete des EP heute mehrfach erwähnten. Es sei absurd, sagte der französische Sozialist Christophe Clergeau bei der Sitzung, über eine Verordnung abzustimmen, wenn die Umstände noch so kontrovers diskutiert werden. Und er erinnerte seine Parlamentskolleg:innen daran, dass sie bei der Europawahl am 9. Juni zur Rechenschaft gezogen werden. [vef]

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