BUND-Protest gegen Glyphosat vor dem Bundesagrarministerium in Berlin. Foto: BUND/Stefanie Loos
BUND-Protest gegen Glyphosat vor dem Bundesagrarministerium in Berlin. Foto: BUND/Stefanie Loos

Glyphosat: EU-Staaten stoppen Genehmigung nicht

13.10.2023

Die Chancen der Europäischen Kommission sind gestiegen, dass sie den Unkrautvernichter Glyphosat in der Europäischen Union (EU) bis zum Jahr 2033 zulassen kann. Denn die 27 EU-Mitgliedstaaten haben diesen Vorschlag heute nicht mit der nötigen Mehrheit abgelehnt. Deutschland enthielt sich, weil die Ampelkoalition uneins ist. Sollte sich auch im Berufungsverfahren keine qualifizierte Mehrheit gegen ihren Plan finden, wird die EU-Kommission ihn wohl bis 14. Dezember umsetzen.

Der deutsche Agrarminister Cem Özdemir hatte im Vorfeld mehrfach dafür plädiert, den weltweit meistverkauften Spritzmittelwirkstoff nicht weiter auf europäische Äcker zu sprühen, da er der ohnehin gefährdeten Biodiversität weiter schade. Davon versuche er auch andere EU-Mitgliedstaaten zu überzeugen, teilte Özdemirs Ministerium (BMEL) nach der letzten Sitzung des zuständigen EU-Ausschusses im September mit. Doch um den Plan der EU-Kommission zu verhindern, müsste der Grünenpolitiker seinen deutschen Koalitionspartner FDP sowie 14 EU-Mitgliedstaaten auf seine Seite bringen. Zusammen müssten die Länder 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Erst dann wäre die nötige qualifizierte Mehrheit erreicht, um Glyphosat zu stoppen.

Aktuell sieht es nicht so aus, als könne Cem Özdemir die mobilisieren. Wie das Portal agrarheute berichtet, haben nur Österreich, Luxemburg und Kroatien bei der heutigen Sitzung für einen Glyphosat-Stopp gestimmt. Neben Deutschland enthielten sich Bulgarien, Belgien, Malta, die Niederlande und Frankreich. Kritisiert worden seien vor allem fehlende Daten zu den Auswirkungen auf Biodiversität, Böden und Gewässer, informierte das deutsche Agrarministerium. Zwar haben 18 EU-Länder für den Kommissionsvorschlag gestimmt. Sie repräsentierten aber nur 55 Prozent der Bevölkerung, wie agrarheute vorrechnet. Denn bevölkerungsreiche Staaten wie Deutschland oder Frankreich waren nicht darunter.

Der französische Minister für den ökologischen Wandel sagte dem Portal France24, die EU-Kommission sei den französischen Wünschen zwar entgegengekommen, indem sie die Höchstdosis Glyphosat-Spritzmittel pro Hektar in ihrem Vorschlag reduziert habe. Das reiche aber noch nicht für eine Zustimmung. Frankreich erprobt im eigenen Land bereits alternative Spritzmittel und möchte das auch in der EU-Verordnung implementiert sehen. Außerdem will das Land Glyphosat nur bis 2030 zulassen. Es habe intensive Gespräche mit Deutschland gegeben und die Positionen näherten sich an, schreibt France24.

Das Problem bleibt, dass der Agrarminister, der Deutschland in dieser Frage auf EU-Ebene vertritt, nicht kann, wie er will. „Da es aus dem BMDV (dem FDP-geführten Ministerium für Digitales und Verkehr, Anm. d. Red.) Einwände gab, haben wir uns heute in der Abstimmung letztlich enthalten müssen – auch wenn wir es uns anders gewünscht hätten“, schrieb ein Sprecher des BMEL dem Infodienst Gentechnik auf Anfrage. Die Grünen und das SPD-geführte Kanzleramt berufen sich auf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag: „Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt.“ Wobei sie davon ausgehen, dass Deutschland das rechtssicher nur tun kann, wenn der Wirkstoff auch auf EU-Ebene nicht weiter zugelassen wird. Die FDP dagegen pocht auf eine Passage im Ampelvertrag, nach der Pflanzenschutzmittel „nach wissenschaftlichen Kriterien“ zugelassen werden sollen. Und die europäischen Fachbehörden hatten das Pflanzengift im Sommer nach wissenschaftlichen Studien als unbedenklich eingestuft. Ist sich die Ampel damit uneins, muss sich der BMEL-Vertreter nach den Regularien der Bundesregierung im EU-Ausschuss enthalten.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisiert, die FDP lege den Koalitionsvertrag "sehr fragwürdig" aus. Und: „Wir sind über das Schweigen der SPD zu diesem wichtigen Verbraucherschutz- und Umweltthema enttäuscht“, so der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt. Die Ampelkoalition hätte den Kommissionsvorschlag einvernehmlich ablehnen und damit ein wichtiges Signal in Europa für mehr Gesundheit und Artenschutz setzen sollen. Auch beim Umweltinstitut München ist man empört: „Die deutsche Bundesregierung hat es trotz Federführung zweier grüner Ministerien und einem eindeutigen Koalitionsvertrag nicht geschafft, sich klar gegen die Wiederzulassung von Glyphosat zu positionieren”, moniert Sophia Guttenberger, Referentin für Landwirtschaft. “Wir erwarten bei der nächsten Abstimmung ein eindeutiges Statement in Form einer ‘Nein‘-Stimme.“

Das erwartet auch die deutsche Bevölkerung. Wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey vergangene Woche ergab, lehnen es 61,9 Prozent der Bundesbürger ab, Glyphosat neu zuzulassen. 57 Prozent der im Auftrag des BUND Befragten sind selbst dann für ein Glyphosatverbot in Deutschland, wenn der Wirkstoff auf EU-Ebene wieder zugelassen werden sollte. Das verlangt auch BUND-Vorsitzender Bandt. Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, protestierte heute eine Delegation des BUND vor dem Agrarministerium und übergab 60.000 Unterschriften der Petition „Besser ohne Gift“.

Hausherr Özdemir kritisiert unterdessen die EU-Kommission: „Sie ignoriert mit ihrem Vorschlag das im EU-Recht verankerte Vorsorgeprinzip und schiebt die Verantwortung für die Artenvielfalt sowie den Schutz unserer Gewässer allein auf die Mitgliedstaaten. Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass Glyphosat der Biodiversität schadet, sollte sie keine Wiedergenehmigung von Glyphosat zulasten der Artenvielfalt durchsetzen." Die EU-Kommission scheint sich ihrer Sache jedoch ziemlich sicher: "Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die vielen Kollegen aus den verschiedenen Staaten enorme Mengen an wissenschaftlichen Daten durchforstet haben, glauben wir, dass wir einen guten Vorschlag haben“, bekräftigte ein Sprecher heute vor Journalisten. Der Berufungsausschuss der EU-Staaten werde in der ersten Novemberhälfte über den unveränderten Verordnungsentwurf abstimmen. [vef]

Wir nehmen Datenschutz ernst!
Unsere Seiten nutzen in der Grundeinstellung nur technisch-notwendige Cookies. Inhalte Dritter (YouTube und Google Maps) binden wir erst nach Zustimmung ein.
Cookie-Einstellungen | Impressum & Datenschutz

OK