Weizenpflanzen des Pilton-Projekts im Gewächshaus. Foto: Alexander Schlichter
Weizenpflanzen des Pilton-Projekts im Gewächshaus. Foto: Alexander Schlichter

Kontrollorgan: gravierende Mängel an Gentechnik-Plänen der EU-Kommission

04.07.2023

Am morgigen Mittwoch will die europäische Kommission einen Vorschlag vorlegen, wie sie neue gentechnische Verfahren (NGT) künftig regeln will. Dabei hat ein internes Kontrollgremium den Plänen noch Ende April „gravierende Mängel“ bescheinigt, die auch im geleakten Entwurf Mitte Juni nicht beseitigt waren. Außerdem haben Umweltverbände die Europäische Ombudsstelle eingeschaltet, weil sie die vorausgehende Folgenabschätzung der EU-Kommission als voreingenommen und unfair im Verfahren kritisieren.

Wie berichtet plant die EU-Kommission, die Regeln für NGT-Pflanzen zu lockern. So sollen Pflanzen, bei denen im Erbgut nur wenig verändert wurde, künftig nicht mehr auf Risiken geprüft und gekennzeichnet werden. Im Sommer und Herbst 2022 befragte die EU-Kommission erst die gesamte Öffentlichkeit und danach ausgesuchte Interessengruppen, welche Folgen verschiedene Regelungsvarianten für Wirtschaft und Gesellschaft haben könnten. In beiden Fällen kritisierte ein Teil der Konsultierten die Fragen als einseitig und voreingenommen.

Ungeachtet dieser Kritik legte die Kommission im Februar 2023 eine erste Fassung ihrer Folgenabschätzung ihrem Ausschuss für Regulierungskontrolle vor. Dieser wies das Papier Mitte März wegen gravierender Mängel zurück. „In dem Bericht werden die Auswirkungen auf das Vertrauen der Verbraucher, den Biosektor, die Umwelt und die Gesundheit nicht ausreichend bewertet“, kritisierten die Kontrolleure. Sie forderten die Kommission explizit auf, in Bezug auf Gesundheit und Umwelt „eine ausgewogenere Analyse“ zu liefern. Auch sollte sie „die Analyse der Auswirkungen auf den Öko-Sektor weiter ausbauen und die Kosten für diesen Sektor quantifizieren“. Fünf Wochen später, am 25. April, präsentierte die Kommission dem Ausschuss eine überarbeitete Fassung. Auch hier monierten die Kontrolleure noch „erhebliche Mängel“ und verlangten weitere Nachbesserungen. Die Kommission müsse ausführlicher die Kriterien darstellen, nach denen entschieden werden soll, ob eine NGT-Pflanze in der Natur vorkomme oder durch konventionelle Züchtung erzeugt werden könne. Insbesondere müssten die wissenschaftlichen Grundlagen und die Umsetzung in der Praxis ausführlicher beschrieben werden, hieß es in der Stellungnahme. Denn diese Kriterien werden möglicherweise künftig darüber entscheiden, ob eine NGT-Pflanze reguliert wird oder nicht.

Das Portal Arc2020.eu hat Mitte Juni neben dem Bericht des Regulierungsausschusses auch die überarbeitete Folgenabschätzung veröffentlicht. Darin heißt es zu den angeforderten wissenschaftlichen Grundlagen lediglich: „Die Kriterien beruhen auf einer wissenschaftlichen Literaturanalyse und berücksichtigen die Arbeit der GFS und der EFSA sowie die Rückmeldungen, die im Rahmen der Konsultation zu dieser Folgenabschätzung eingegangen sind“. GFS steht für die Gemeinsame Forschungsstelle der Kommission und EFSA für deren Lebensmittelbehörde. Auch im jüngst geleakten Verordnungsvorschlag hat die EU-Kommission wenig geändert: Die genannten Kriterien sind weitgehend identisch mit denen in der angegriffenen Folgenabschätzung.

Auch bei den anderen bemängelten Punkten blieb die Folgenabschätzung unverändert knapp. Zum erhöhten Aufwand in der Qualitätssicherung für gentechnikfrei wirtschaftende Ökobetriebe heißt es lediglich: „Dies wird zusätzliche Kosten und Belastungen für die ökologischen Unternehmer mit sich bringen, die die Kosten für die Trennung der Erzeugnisse tragen werden. Es liegen jedoch keine quantitativen Schätzungen vor.“ Tatsächlich gibt es seit den Koexistenzdebatten um den Anbau klassischer Gentech-Pflanzen mehrere Studien zu möglichen Koexistenzkosten, die die Kommission hätte heranziehen können. Stattdessen hat sie bereits wissen lassen, dass sich um Koexistenzregelungen die Mitgliedsstaaten kümmern sollen.

Auch bei möglichen Nachfragerückgängen schiebt die EU-Kommission der Biobranche den schwarzen Peter zu: In ihrem Bericht räumt sie zwar ein, dass eine Freigabe von NGT-Pflanzen das Vertrauen der Verbraucher:innen beeinträchtigen könnte, dass ökologische Produkte nicht gentechnisch verunreinigt sind. Zu möglichen Folgen eines solchen Vertrauensverlusts für die Betriebe schweigt sie aber. Sie verweist nur darauf, dass das gesetzliche Verbot von NGT-Pflanzen im Ökolandbau den Verbraucher:innen die Gewissheit gebe, „dass alle Maßnahmen getroffen werden, um das Vorhandensein von NGTs zu vermeiden“. Da sind dann wieder die Biobetriebe in der Pflicht.

Zum Informationsrecht der Verbraucher:innen heißt es in der Folgenabschätzung: Eine Gentechnikkennzeichnung für NGT-Pflanzen, die keiner Risikobewertung und keiner Zulassung unterliegen, könnte „zu Verwirrung über die Eigenschaften und das Sicherheitsprofil des Produkts führen“. Schließlich könnten solche Pflanze nach der Argumentation der Kommission ja auch in der Natur vorkommen oder konventionell gezüchtet werden. „In jedem Fall könnten sich Verbraucher, die NGTs aktiv vermeiden wollen, auf das Bio-Logo verlassen“, fügt die Kommission noch hinzu.

Die knappen Antworten auf Kritikpunkte und die seitenlangen Auflistungen möglicher Vorteile von NGT in der Folgenabschätzung belegen die voreingenommene Haltung der Kommission. Ihre eigenen Richtlinien hingegen schreiben vor, dass eine Folgenabschätzung „transparent, objektiv und ausgewogen“ sein soll. Zwei Umweltorganisationen haben sich deshalb bei der Europäischen Ombudstelle über die EU-Kommission beschwert. Bis zum 24. Juli hat die Kommission nun Zeit, der Ombudstelle eine ganze Reihe von Fragen zu beantworten. Ombudsfrau Emily O'Reilly will unter anderem wissen, wie die Kommission bei ihrer Analyse der Vorteile von NGTs zwischen Meinungen von Interessengruppen und empirischer wissenschaftlicher Forschung unterschieden hat. Auch soll die Kommission darlegen, wie sie ein kritisches Gutachten des deutschen Bundesamtes für Naturschutz (BfN) zu den Umweltrisiken von NGT berücksichtigt hat. Liegt die Antwort vor, wird die Ombudstelle entscheiden, ob sie den Vorgang vertieft untersuchen wird. [lf/vef]

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