Gentechnikfreies Europa Foto: Informationsdienst Gentechnik
Gentechnikfreies Europa Foto: Informationsdienst Gentechnik

Gentechnikfreies Europa: Verbände setzen auf Parlament

18.11.2022

In Kanada kommen mit neuen gentechnischen Verfahren veränderte Pflanzen (NGT) bereits ohne Kennzeichnung auf den Markt, berichtete eine Vertreterin des kanadischen Biohandelsverbandes bei der zehnten Konferenz der gentechnikfreien Regionen Europas gestern in Brüssel. Das führe zu großen Problemen für die ökologische Lebensmittelwirtschaft. Und viele befürchten, dass Ähnliches auch in Europa drohen könnte, sollte die EU-Kommission 2023 die rechtlichen Regeln für Produkte neuer gentechnischer Verfahren lockern.

Save our Seeds, das Berliner Büro der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, und der europäische Bio-Dachverband Ifoam EU haben deshalb die Tagung organisiert, um im Europäischen Parlament (EP) Unterstützung für ihr Anliegen zu suchen, auch neue Gentechnik weiter streng zu regulieren. Gastgeber war die grüne EP-Fraktion. Schon die Einladung machte klar, dass sich „gentechnikfreie Regionen, Züchter, Landwirte, Händler, Einzelhändler und Verbraucher darauf vorbereiten sollten, gemeinsam eine große Herausforderung für den Umwelt- und Verbraucherschutz im Bereich der Neuen Gentechnik anzugehen“. Für Biolandwirte ist es beispielsweise existenziell, dass sie ihre Ware frei von Gentechnik halten. Anderenfalls verlieren sie ihr Biosiegel.

Wissenschaftlichen Input gaben bei der Konferenz Margret Engelhard vom Bundesamt für Naturschutz, Eva Gelinsky, Mitglied der Schweizer Ethikkommission für Biotechnologie, und Testbiotech-Geschäftsführer Christoph Then. Engelhard und Then machten deutlich, dass es für die Risikobewertung neuer gentechnischer Verfahren (NGT) und ihrer Produkte unerheblich sei, ob es sich um pflanzeneigene Genveränderungen oder eingefügte pflanzenfremde Gene handle. „Es gibt keine Möglichkeit, das Risiko vorherzusagen“, sagte Engelhard. Man müsse es in jedem Einzelfall gründlich prüfen. Laut Then würden die Kommissionspläne dazu führen, „dass GVO mit unbeabsichtigten Effekten ungeprüft auf den Markt kommen“.

Eva Gelinsky setzte sich mit dem Versprechen klimaangepasster Pflanzen auseinander. Sie betonte, dass Stress- und Trockentoleranz komplexe und multidimensionale Eigenschaften seien, die sich nicht herstellen ließen, indem man einzelne Gene verändere. „Es wird nicht funktionieren, die derzeitigen Hochertragssorten einfach mit einer Trockentoleranz auszustatten“, lautete ihr Fazit. Auch ein von Gelinsky mit verfasster Bericht der Schweizer Ethikkommission für Biotechnologie kam zu dem Ergebnis, dass der Klimanutzen der neuen Gentechnik überschätzt werde (der Infodienst berichtete).

Für die gentechnikfreie Lebensmittelwirtschaft sprach Heike Moldenhauer von deren europäischem Verband ENGA. Sie sagte, dass der Nahrungsmittelsektor klar gegen die Deregulierung neuer Gentechnik sei und verwies auf eine Resolution der großen europäischen Lebensmittelhändler. Diese warnen darin, dass Händler ungeprüfte und nicht gekennzeichnete GVO verkaufen würden, wenn das Gentechnikrecht in Europa gelockert würde. „Dies ist für uns inakzeptabel! Als Einzelhändler sind wir voll verantwortlich und haften für die Sicherheit aller Produkte, die wir verkaufen“, heißt es in dieser Resolution. Jan Plagge, als Präsident von Ifoam EU quasi oberster Bio-Bauer der EU, warnte vor weitreichenden Konsequenzen für den Biolandbau und den Biomarkt in Europa. Der Kommission warf er vor, auf einen riesigen Zielkonflikt zuzusteuern: „Sie will den Biolandbau auf 25 Prozent ausbauen und gleichzeitig eine Deregulierung beschließen, die diesem Biolandbau den Boden unter den Füßen wegzieht."

Bestätigt wurden seine Befürchtungen von Tia Loftsgard vom kanadischen Biohandelsverband COTA. Sie verwies darauf, dass in Kanada in großem Umfang GVO angebaut werden. Das belaste die Ökolandwirte nicht nur wegen kostspieliger Kontrollen der eigenen Ernte. Selbst wenn verunreinigte konventionelle Ware gefunden werde, schlage das auf ihre Einnahmen durch. Als Beispiel nannte sie Funde gentechnischer Verunreinigungen in konventioneller kanadischer Leinsaat. Obwohl die Bio-Leinsaat sauber war, sanken die Erlöse dafür auf ein Fünftel. Als 2018 infolge von gentechnisch verunreinigtem Weizen die Exporte nach Asien wegfielen, seien Biobauern von den Sperren ebenso betroffen gewesen. „Wir hoffen, dass Sie erfolgreich sind und die EU als Schutzbastion für den Biolandbau erhalten“, ermutigte Loftsgard die anwesenden Abgeordneten. Jörg Rohwedder von der Verbraucherorganisation Foodwatch unterstrich, dass Rückverfolgbarkeit, Vorsorgeprinzip und Wahlfreiheit grundlegend für den Verbraucherschutz seien. „Wir wollen volle Transparenz, denn nur sie ermöglicht Wahlfreiheit“, sagte er.

Claire Bury, Generaldirektorin der für das Gentechnikrecht zuständigen DG Sante der EU-Kommission, räumte ein, dass es für den Biosektor entscheidend sei, GVO identifizieren zu können. „Vielfalt zeichnet Europa aus; Bioanbau und Biotechnologie sind ein Teil dieser Vielfalt“, sagte Bury. Sie betonte, dass sich die EU-Kommission bei der Risikobewertung nach der besten verfügbaren Wissenschaft richte und meinte damit die Stellungnahmen der EU-Lebensmittelbehörde EFSA. Sie gestand ein, dass Menschen Informationen bräuchten, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. Gleichzeitig nannte sie die Kennzeichnung neuer Gentechnik ein schwieriges Problem.

In der Abschlussdiskussion platzte Mute Schimpf von Friends oft the Earth Europe deshalb der Kragen: Sie habe mehrere Konsultationen, Petitionen und Gespräche mit EU-Kommissar:innen hinter sich. Von der Kommission sei „nichts gekommen, Null, gar nichts!“, kritisierte Schimpf. Das von der Kommission vorgeschlagene Nachhaltigkeitslabel sei völlig absurd. „Ich habe kein Vertrauen mehr, dass wir von der Kommission noch irgendetwas Brauchbares bekommen. Wir setzen auf das Parlament und wir brauchen vom Parlament ein klares Signal“, so die Campaignerin.

Zuletzt hatte eine große Mehrheit der EP- Abgeordneten im Oktober 2021 in einer Stellungnahme zur Farm to Fork-Strategie der Kommission das Vorsorgeprinzip betont „und die Notwendigkeit, Transparenz und Wahlfreiheit für Landwirte, Verarbeitungsbetriebe und Verbraucher sicherzustellen“. Doch wie Nina Holland von Corporate Europe Observatory dem Infodienst kürzlich im Gespräch sagte: „Es gibt derzeit eine Lawine von Lobbyveranstaltungen, die auf die Abgeordneten des Europäischen Parlaments abzielen, damit sie die Deregulierung des Gentechnikrechts unterstützen.“ Diese Konferenz war ein Gegengewicht dazu. Allerdings stellte die grüne Abgeordneten Sarah Wiener enttäuscht fest, dass kein Mitglied einer konservativen Fraktion des Parlaments daran teilgenommen hatte. [lf]

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