Kein Patent auf Leben
Foto: Kein Patent auf Leben

Streit um Crispr-Patente: Wer bekommt die Milliarden?

02.04.2022

Vor zehn Jahren stellten Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna Crispr/Cas9 als neues gentechnisches Werkzeug vor. Sie bekamen dafür den Nobelpreis. Doch im Streit um die Patente für das Verfahren mussten die beiden Wissenschaftlerinnen und die mit ihnen verbundenen Universitäten von Kalifornien und Wien in den USA eine herbe Niederlage hinnehmen. Beendet ist der Patentstreit damit noch lange nicht.

Das US-Patentamt wies Ende Februar 2022 Patentansprüche zurück, die Charpentier und die beiden Universitäten (in den Unterlagen als CVC abgekürzt) gestellt hatten. Stattdessen sprach das Patentamt diese Rechte dem Molekularbiologen Feng Zhang und dem Broad Institut in Cambridge, Massachusetts zu.

Die Ansprüche bezogen sich auf die Anwendung von Crispr/Cas9 in eukaryotischen Zellen, also Zellen mit einem Zellkern, aus denen Pflanzen, Tiere und Menschen bestehen. Alle Anwendungen von Crispr/Cas9 in der Agro-Gentechnik und der medizinischen Therapie beim Menschen fallen darunter. Wer in diesen Bereichen mit Crispr/Cas9 Produkte oder Therapien entwickelt und diese vermarkten will, braucht eine Lizenz der Patentinhaber. Diese könnten damit bis zu zehn Milliarden Euro verdienen, sagte ein Patentrechtsexperte der Zeitung East Coast Times.

Bereits 2016 hatte das US-Patentamt entschieden, dass CVC 2012 die ersten waren, die die Anwendung von Crispr/Cas in prokyriotischen Zellen ohne Kern, wie sie Bakterien aufweisen, vorgestellt hatten. Solche Zellen enthalten natürlicherweise Crispr-Systeme, um sich gegen Viren zu wehren. Dort entdeckten Charpentier und Doudna Crispr und entwickelten daraus das Werkzeug Crispr/Cas9. Das Patent, das sich auf Bakterienzellen bezog, sprach die Behörde CVC zu.

Bei der Anwendung in eukaryotischen Zellen sah das Patentamt jedoch das Broad Institut vorne, das diese im Januar 2013 vorgestellt hatte. Aus Sicht der Behörde hätten die Forscher aus Massachusetts die Crispr-Technologie so grundlegend erweitert, dass dies eigene Patente rechtfertige und keine Verletzung des grundlegenden Patents von Charpentier und Doudna darstelle. Diese Auffassung bestätigte ein Bundesberufungsgericht der USA 2018.

Im nun entschiedenen Patentstreit versuchte CVC nachzuweisen, dass sie ebenfalls an der Anwendung in eukaryotischen Zellen geforscht hatten und das Broad Institute nur deshalb schneller gewesen sei, weil sie wichtige Daten aus der ersten Veröffentlichung über Crispr/Cas schon vorab zugespielt bekommen hätten. So berichtete es Heise.de mit Verweis auf das Biotech-Nachrichtenportal StatNews. Die Patentbehörde entschied nach der Durchsicht von Labornotizen und E-Mails dennoch, dass Zhang das erste funktionierende Crispr-System für Eukaryoten entwickelt habe. Doudna und Charpentier kündigten laut Heise.de an, in Berufung zu gehen.

Die Entscheidung des Patentamtes gilt nur für die USA und betrifft insbesondere Unternehmen, die mit Lizenzen von CVC an Crispr-Therapien für Menschen arbeiten. Dazu zählen etwa die von Jennifer Doudna mitgegründeten Unternehmen Intellia Therapeutics und Caribou oder das von Charpentier mitgegründete Crispr Therapeutics. Sie müssten „möglicherweise eine Vereinbarung mit dem Broad-Team treffen, das Anspruch auf einen Teil der Gewinne aus den Behandlungen haben könnte“, schrieb die Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft.

Das Europäische Patentamt hingegen hat sich in dem Patentstreit weitgehend auf die Seite von CVC geschlagen. Auch in vielen asiatischen Ländern seien die wichtigsten Patente noch in der Hand der Nobelpreisträgerinnen, schrieben die RiffReporter und vermuteten, dass dieses „Patentchaos“ den internationalen Handel mit gentechnisch hergestellten Produkten und den Einsatz von Therapien erschweren werde. Schon jetzt sei die Lage für Unternehmen unübersichtlich, da es neben den grundlegenden Patenten inzwischen „mehrere hundert Crispr/Cas-Patente für Anpassungen der Technologie“ gebe. Spektrum der Wissenschaft schrieb mit Verweis auf das Schweizer Wirtschaftsforschungsunternehmen Centredoc sogar, dass es „inzwischen mehr als 11000 Patentfamilien für Crispr-bezogene Technologien“ gebe. In den Fachmedien gab es zwei Prognosen: Entweder die beiden Streitparteien einigen sich und verwerten ihre Patente gemeinsam oder sie streiten sich noch weitere zehn Jahre und geben für die Prozesse dann womöglich ebenso viel Geld aus, wie sie über die Patente bekommen könnten. [lf]

Wir nehmen Datenschutz ernst!
Unsere Seiten nutzen in der Grundeinstellung nur technisch-notwendige Cookies. Inhalte Dritter (YouTube und Google Maps) binden wir erst nach Zustimmung ein.
Cookie-Einstellungen | Impressum & Datenschutz

OK