EUGH
Sitzungssaal des EuGH (Foto: Gerichtshof der Europäischen Union)

Schutz vor neuer Gentechnik: Verbände kritisieren untätige Ministerin

27.07.2020

Vor zwei Jahren hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden: Auch neue gentechnische Verfahren sind Gentechnik. Die Stellungnahmen zum Jubiläum zeigen, dass die politische Auseinandersetzung in die heiße Phase geht. Denn spätestens im nächsten Frühjahr muss die Kommission Farbe bekennen, welche Konsequenzen sie aus dem Urteil zieht.

Aus Sicht der gentechnikkritischen zivilgesellschaftlichen Organisationen ist die EuGH-Entscheidung nach wie vor ein Meilenstein. „Denn nur so gelten auch für mit neuen gentechnischen Verfahren hergestellte Organismen Vorgaben zur Risikoprüfung, Kennzeichnung, Zulassung und Transparenz“, erläuterte Daniela Wannemacher, Gentechnik-Expertin des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Das Gericht habe klar gemacht, „dass Organismen, die mit der Genschere CRIPR/Cas verändert wurden, eine potenzielle Gefahr für Umwelt und Verbraucher*innen darstellen, solange diese nicht risikogeprüft und zugelassen werden“, ergänzte die Aurelia-Stiftung.

Für die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) verwies deren Gentechnik-Expertin Annemarie Volling darauf, dass in Europa bis auf einige Regionen in Spanien keine Gentechnik-Pflanzen angebaut würden. „Das ist ein großer wirtschaftlicher Vorteil für europäische Bäuerinnen und Bauern, weil sie das anbauen und vermarkten können, was Verbraucher*innen mehrheitlich wollen - und was der europäische, asiatische und zunehmend auch der US-Markt verlangt: gentechnikfreie Ware!“, argumentierte Volling.

Auch der Verband Lebensmittel Ohne Gentechnik (VLOG) betonte die wirtschaftliche Bedeutung des Ohne-Gentechnik-Sektors, sieht ihn aber in Gefahr: „Zwei Jahre nach dem EuGH-Richterspruch brauchen wir vor allem endlich zuverlässige Nachweisverfahren für neue Gentechnik-Verfahren und deren konsequente Anwendung“, sagte VLOG-Geschäftsführer Alexander Hissting.

Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) warf Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner vor, die Umsetzung des Urteils weiter auf die lange Bank zu schieben. „Durch ihr Nichtstun gefährdet Julia Klöckner Wirtschaft und Bürger. Genmanipulierte Pflanzen könnten Europas Landwirtinnen, Lebensmittelhersteller oder Kundinnen einfach untergejubelt werden“, sagte Löwenstein.

Dass diese Gefahr real ist, machte Pia Voelker vom Gen-ethischen Netzwerk deutlich. In den USA werde der genomeditierte herbizidresistente Raps Falco des US-Unternehmens Cibus „seit 2015 dereguliert angebaut und könnte unbemerkt den Weg in europäische Versorgungsketten finden“, sagte Voelker.

23 Verbände der Agrar- und Lebensmittelindustrie hingegen forderten in einer gemeinsamen Erklärung die „Rechtsgrundlage für die Anwendung neuer Züchtungstechniken“ anzupassen. Sie begründeten die damit beabsichtigte Deregulierung neuer gentechnischer Verfahren vor allem mit deren Potential, „Ernteausfälle infolge des Klimawandels zu minimieren, indem sie Nutzpflanzen schneller widerstandsfähig gegen Wetterextreme und Schädlinge machen“. Außerdem müssten „die Bestimmungen zu agrarischen Rohstoffen verschiedener Weltregionen miteinander kompatibel sein, damit die internationalen Handelsströme weiterhin funktionieren und die Versorgungsmärkte sowie Arbeitsplätze nicht gefährdet werden.“

Bei der Umsetzung ihrer Pläne können Agrar- und Lebensmittelindustrie auf Ministerin Klöckner zählen. Diese erklärte in einem Beitrag für den Tagesspiegel, sie wolle „mehr Gentechnik wagen“ und begründete dies damit, dass Züchtungsprozesse massiv beschleunigt werden könnten.

Seit Jahren werde behauptet, mit Hilfe von neuen gentechnischen Verfahren wie Crispr/Cas ließen sich Pflanzen entwickeln, die mit Trockenheit zurechtkommen oder mit neuen Resistenzen gegen Krankheiten und Schädlinge ausgestattet seien, entgegnete Eva Gelinsky von der IG Saatgut. „Ob trockentolerante Crispr-Pflanzen jemals Marktreife erlangen und sich auch im Anbau bewähren werden, ist fraglich“, sagte Gelinsky. „Denn die gewünschten Eigenschaften beruhen in vielen Fällen nicht auf einzelnen DNA-Abschnitten, sondern gehen aus einem komplexen Zusammenspiel vieler Gene, der Umwelt der Pflanzen und unterschiedlicher Steuerungsmechanismen hervor.“ Bisher seien konventionelle Züchter erfolgreicher darin, Pflanzen mit derart komplexen Eigenschaften zu erzeugen. [lf]

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