Argentinien Gatica Godoy Gentechnik Glyphosat
Argentinische Aktivistinnen berichten bei einem Fachgespräch von der Vergiftung ihrer Nachbarschaft durch Glyphosat (Foto: Volker Gehrmann)

„Wir sind schon vergiftet, aber Sie haben noch Zeit!“

14.09.2012

Auf der Karte des kleinen Viertels sind in jeder Straße, beinahe jedem Haus rote Punkte eingezeichnet. Sie stehen für Krebserkrankungen in der argentinischen Ortschaft Ituzaingó Anexo, einem Vorort von Córdoba. Daneben finden sich weitere Markierungen für Leukämie oder Missbildungen. Dokumentiert wurden die Fälle von Anwohnerinnen. Sie machen den massiven Einsatz von chemischen Unkrautvernichtungsmitteln auf den Gentechnik-Soja-Plantagen rund um den Ort für die vielen Kranken, missgebildeten Kinder und Todesfälle verantwortlich. Gestern berichteten sie bei einer Veranstaltung der grünen Bundestagsfraktion von ihrem schwierigen Kampf gegen multinationale Agrochemiekonzerne.

„Unser Ort sieht aus wie eine Insel in einem Meer aus Sojafeldern“, erklärte Maria Godoy. Mit landwirtschaftlichen Maschinen, aber auch vom Flugzeug aus, werden dort in großen Mengen Pestizide wie Glyphosat und Endosulfan versprüht. Wie fast überall in Argentinien ist die Soja gentechnisch verändert, um den Einsatz des weltweit meist verkauften Sprühmittels Glyphosat zu verkraften. Der Hersteller Monsanto vertreibt es zusammen mit dem Gentech-Saatgut unter dem Markennamen „Roundup“. Seit mehreren Jahren wehren sich die Bewohner gegen diese Vergiftung ihrer Nachbarschaft – und konnten vor wenigen Wochen endlich einen ersten Erfolg erringen. Ein Landwirt und ein Sprühflugzeugpilot wurden vor Gericht zu Bewährungsstrafen verurteilt. Doch Regierung und Konzerne zeigen weiterhin keine Bereitschaft, etwas an den Zuständen zu ändern.

Sofia Gatica appellierte daher an die Teilnehmer der Veranstaltung, zu denen auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen Renate Künast gehörte, sich gegen den Import von Soja aus Argentinien einzusetzen. Denn der Einsatz von Glyphosat („Roundup“) und der Anbau von entsprechenden Gentechnikpflanzen („Roundup-Ready“) gehören unweigerlich zusammen. „Wir sind schon vergiftet, aber Sie haben noch Zeit!“, sagte die Trägerin des Goldman-Umwelt-Preises in Richtung der europäischen Politik und Verbraucher, auf deren Tellern heute tierische Produkte landen, die mit glyphosatbehafteten Gentechnikfuttermitteln erzeugt worden sind.

Auch Künast plädierte für eine andere Verhaltensweise, zu der unter anderem ein geringerer Fleischkonsum gehöre. Der Großteil des Überseesojas landet in den Futtertrögen US-amerikanischer und europäischer Rinder und Schweine. Die Fraktionsvorsitzende wies auf die Millionen von Hektar an Ackerland hin, die in Südamerika „gekapert“ würden, um letztlich Fleisch für Europa zu produzieren. Es brauche daher eine andere Agrarpolitik unter der Prämisse „Wir finanzieren mit öffentlichen Geldern nicht mehr, was nicht im öffentlichen Interesse ist“, so Künast. Ihr parlamentarischer Kollege und Gastgeber der Veranstaltung, Harald Ebner, kritisierte die Bundesregierung, weil diese weiterhin an Glyphosat festhalte. Tatsächlich wurde eine Überprüfung der Zulassung der Chemikalie auf 2015 verschoben.

Gatica und Godoy warnen zurzeit in vielen europäischen Städten vor den Folgen der Kombination Gentechnik und Pestizide. Für sie ist es auch ein sehr persönliches Anliegen. Gatica hat ihre Tochter drei Tage nach der Geburt wegen einer Nierenfehlbildung verloren. Ihr Sohn litt nach den Sprüheinsätzen an Lähmungserscheinungen. Und in der Nachbarschaft der beiden Frauen mehren sich die Todesfälle. Früher sei pro Familie einer an Krebs erkrankt, nun seien es drei oder vier.

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