Biene
Honig-, Wildbienen und Hummeln sind für die Landwirtschaft extrem wichtig (Foto: Mark Strobl / flickr, creativecommons.org/licenses/by/2.0)-+-

Wie weiter nach dem Moratorium für Neonikotinoide?

01.12.2015

Noch bis Ende des Jahres gilt in der Europäischen Union ein Teilverbot für drei Insektizide, die als besonders gefährlich für Bienen, Hummeln und andere Bestäuber gelten. Über diese Neonikotinoide diskutierten Wissenschaftler heute in Berlin. Sie sehen Parallelen zu DDT, das ebenfalls lange als sicher galt, dann aber wegen fataler Auswirkungen auf Vögel und andere Tiere aus dem Verkehr gezogen wurde. Allerdings: die „Neonics“ seien noch um ein Tausendfaches giftiger.

Der Schutz der Bestäuberinsekten ist nicht nur für die Ökosysteme entscheidend. Auch die Landwirtschaft könnte ohne die Nützlinge kaum überleben – Nahrungsmittel würden knapp. Die EU-Kommission schätzt, dass Honig- und Wildbienen, Hummeln und Schmetterlinge der Agrarwirtschaft mindestens 22 Milliarden Euro pro Jahr bescheren, indem sie Pflanzen und Bäume bestäuben und so für gute Ernten sorgen. Kein Dünger oder Pestizid kann da mithalten.

Für die meisten Redner – und wohl auch fast alle Zuhörer – der Veranstaltung, zu der die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und das europäische Wissenschaftlernetzwerk ENSSER eingeladen hatten, war die Forderung klar: das Teilmoratorium der EU müsse verlängert und auf weitere Neonikotinoid-Wirkstoffe sowie Substanzen wie Fipronil ausgeweitet werden. Es dürfe nicht so lange wie bei DDT oder dem Ozonkiller FCKW dauern, bis wissenschaftliche Erkenntnis zu den politischen Entscheidern „durchtröpfelt“, mahnte der neue VDW-Vorsitzende Hartmut Graßl, ehemaliger Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie zur Einleitung. Die Biologin Christine von Weizsäcker erinnerte, Deutschland und die EU seien gesetzlich und durch internationale Verträge zur Vorsorge verpflichtet.

Die Neonikotinoide werden meist vor der Aussaat auf die Samen aufgetragen. Das Gift wird dadurch in alle Teile der Pflanze transportiert – in die Blätter, die von Insekten gefressen werden, aber auch in den Nektar, den die Bienen sammeln und den Pollen, der auch auf anderen Pflanzen landet und dort wiederum von Schmetterlingsraupen und anderen Nützlingen aufgenommen wird. Vor allem die schädliche Wirkung auf Bienen, ihr Nervensystem und ihren Orientierungssinn wurde in vielen Studien belegt, wie Jean-Marc Bonmatin vom Centre National de la Recherche Scientific in Orleans berichtete. Krankheitserreger wie die Varroa-Milbe würden hingegen begünstigt, weil die Abwehrkräfte der Bienen schwinden.

Darin sieht Klaus-Werner Wenzel von der Entomologischen Gesellschaft ORION Berlin gar einen entscheidenden Faktor des Bienensterbens. Nicht etwa die Varroa und das von ihr übertragene Flügeldeformationsvirus an sich, mit dem gesunde Bienenvölker fertig würden, sondern die Schwächung durch die Neonics sei die Bedrohung. Denn erst bei durch die Chemikalien geschwächten Bienen griffen Infektionen rasend schnell um sich, wie beispielsweise Untersuchungen aus Italien zeigten.

Aus Sicht mehrerer Redner ist eine Verbesserung der Risikobewertung nötig. Zwar hatte zuletzt auch die EU-Lebensmittelbehörde EFSA bestätigt, dass die Neonikotinoide Thiamethoxam des Schweizer Agrochemiekonzerns Syngenta sowie Clothianidin und Imidacloprid des deutschen Bayer-Konzerns „hohe Risiken“ für Bestäuber bedeuten. Doch würde, ähnlich wie beim Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat, zu häufig nur der reine Wirkstoff untersucht, nicht jedoch die Mischung, die letztlich auf dem Feld landet, so Bonmatin. Kombinationseffekte von mehreren Substanzen, die die Landwirte ausbringen, würden nicht berücksichtigt. Und auch nicht, dass es mehrere Jahre – bei Clothianidin sogar bis zu 30 Jahre – dauern könne, bis die Stoffe im Boden abgebaut würden.

Der Tiermediziner Peter Hoppe, der sich intensiv mit der europäischen Risikobewertung auseinander setzt, klagte, es würden oft Feldversuche durchgeführt, die letztlich „vergeudete Liebesmüh“ seien. Die Regeln dafür hätten Industrieverbände selbst erfunden, die Ergebnisse ihrer Studien hielten sie unter Verweis auf Geschäftsgeheimnisse unter Verschluss. Die ihm bekannten Untersuchungen hätten jedoch viele Schwächen: so würden Forschungsziele nicht benannt, die Methoden nicht vollständig beschrieben, nur wenige Bienenvölker verwendet, zu kurze Zeiträume untersucht, die Äcker nicht auf bestehende Pestizidbelastungen geprüft und zuletzt oft keine statistische Auswertung vorgenommen. Dennoch gälten diese Art von Versuchen vielen Behörden in Deutschland, Europa und den USA als „Goldstandard“.

Zwar gebe es auch sauber durchgeführte Feldversuche von unabhängigen Wissenschaftlern – bei denen viel „Gehirnschmalz“ in das Studiendesign geflossen sei - doch sei das eher die Ausnahme. Einer dieser Versuche, durchgeführt in Frankreich, hatte beispielsweise ergeben, dass Bienen, denen Neonikotinoide verabreicht wurden, seltener in ihren Stock zurückfanden, obwohl sie den Weg zuvor nachweislich zurückgelegt hatten.

*** UPDATE 2.12. *** ABSATZ DER GIFTE IN DEUTSCHLAND GESTIEGEN

In Deutschland ist der Absatz von neonikotinoid-haltigen Insektiziden zuletzt wieder gestiegen. 2012 lag er bei 342 Tonnen reinem Wirkstoff und sank 2013 deutlich auf 200 Tonnen – doch im letzten Jahr kletterte er, trotz des zuvor beschlossenen Teilverbots, auf 207 Tonnen. Das teilte die Bundesregierung auf Anfrage der Fraktion der Grünen mit. Gleichzeitig legte der Export der Insektenkiller seit 2008 um 138 Prozent zu, letztes Jahr wurden 2.269 Tonnen ausgeführt. Außerdem wurde hierzulande auch mehr Fipronil, ein von vielen Wissenschaftlern ebenfalls als sehr problematisch betrachtetes Mittel, verkauft als in den Vorjahren.

„Die bisherigen EU-Teilverbote für Neonikotionoide reichen nicht aus, um Umweltgefährdungen durch die Gifte wirksam einzudämmen“, kommentierte der Grünen-Parlamentarier Harald Ebner die Zahlen. „Die Bundesregierung räumt zwar Risiken für Gewässerorganismen und Wildbienen ein und erwähnt sogar Hinweise auf eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit. Dennoch weigert sich Agrarminister Schmidt im Gegensatz zur französischen Regierung, die Verbote auszuweiten oder andere Schutzmaßnahmen zu ergreifen.“ Die Regierung hatte in ihrer Antwort geschrieben, sie werde über ein dauerhaftes Moratorium befinden, wenn mehr wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. [dh]

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