Verbraucherin Simone
Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen müssen in der EU immer gekennzeichnet werden.

Kennzeichnung mit der Transparenz-Keule

19.05.2015

Am Montag fand in der Landesvertretung Sachsen-Anhalts beim Bund eine Pressekonferenz des „Forum Grüne Vernunft“ statt. Gentechnik-Befürworter und FDP-Politiker forderten, die bisherige Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln künftig anders zu gestalten: „für mehr Transparenz“. Gentechnik-Gegner, Bio-Landwirte und die meisten Verbraucherschützer halten davon indes gar nichts.

*** vor allem wegen Zusatzstoffen aus Tanks wollen Gentechniker, FDP- und einige Unionspolitiker eine neue Kennzeichnung.

*** Der Bundesverband der Verbraucherzentralen, Vertreter von Bio- und konventioneller Gentechnikfrei-Branche halten das für „Vernebelung“. Ziel sei: mehr Gentechnik auf europäischen Äckern.

Die Verfechter der neuen Kennzeichnung argumentieren, viele verarbeitete Lebensmittel, aber auch Medikamente und Waschmittel hätten „Berührung mit der Gentechnik gehabt“. Zu ihnen gehören der frühere Wirtschaftsminister des Saarlands und später Sachsen-Anhalts, Horst Rehberger (FDP), die ehemalige Bundestagsabgeordnete Christel Happach-Kasan (FDP), der Wirtschaftsstaatssekretär Sachsen-Anhalts, Marco Tullner (CDU), der gleichzeitig der dortigen Verbraucherzentrale vorsitzt, und mehrere Gentechnik-Forscher. Ihren Aufruf soll auch FDP-Chef Christian Lindner unterschrieben haben.

Wichtig zu wissen: dabei beziehen sie sich eher nicht auf gentechnisch veränderte Pflanzen. Solche gibt es in der EU kaum als Lebensmittel zu kaufen, denn die bisherige Kennzeichnungspflicht schreckt Hersteller und Supermärkte ab, Gentech-Mais oder -Soja ins Regal zu stellen. Das Forum Grüne Vernunft meint vor allem transgene Mikroorganismen. Sie stellen in geschlossenen Tanks Zusatzstoffe her. Diese werden entnommen und von der Lebensmittel- oder Pharmaindustrie verarbeitet. Dabei spricht man von „Weißer Gentechnik“, bei Medikamenten von „Roter Gentechnik“.

Die „Grüne Gentechnik“ spielt sich hingegen auf dem Acker, also im Freien ab. Und sie ist es, die Umwelt- und Verbraucherschützer besonders kritisieren. Denn die angebauten Pflanzen sind oft resistent gegen Spritzmittel wie Glyphosat („Roundup“) - und können daher systematisch besprüht werden. Oder sie sondern ein eigenes Gift gegen Insekten ab. So steige die Giftbelastung für Böden, Grundwasser, aber auch Landwirte oder Nachbarn von Gentechnik-Feldern, so die Kritik.

Würde nun eine neue Kennzeichnung eingeführt, die nicht zwischen solchen Pflanzen und Produktionstanks unterscheidet, könnten es Gentechnik-Konzerne wie Monsanto leichter haben, auch ihren Mais oder Soja in der EU zu vermarkten. „Letztlich geht es dem Forum Grüne Vernunft nicht um Transparenz oder Wahlfreiheit für Verbraucher, sondern um freie Bahn für gentechnisch veränderte Pflanzen“, glaubt Gerald Wehde, Pressesprecher des Bio-Anbauverbands Bioland.

Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) äußerte Kritik an dem Vorhaben, das von der VZ Sachsen-Anhalt mitgetragen wird. „Eine Gleichmacherei bei der Kennzeichnung lehnen wir ab, weil sie eine Vernebelung darstellt und eine Unterscheidung unmöglich macht“, kommentierte Ingmar Streese, Geschäftsbereichsleiter für Verbraucherpolitik.

Auf ihrer Website teilten die Verbraucherschützer mit: „Manche Produkte enthalten real gentechnische Bestandteile, etwa wenn Sojaöl aus GVO-Soja hergestellt wurde. Andere Produkte enthalten lediglich Vitamine oder andere Inhaltsstoffe, die zwar mit gentechnischen Verfahren hergestellt wurden, aber keine gentechnisch veränderten Bestandteile enthalten. Neben dieser Agro-Gentechnik gibt es auch Gentechnik in geschlossenen Systemen, etwas in der Medizin oder in der chemischen Industrie.“ Das müsse eine Kennzeichnung berücksichtigen, so Streese. „Etwa durch farbige Kennzeichen plus entsprechenden Erläuterungen, oder durch die 'Ohne Gentechnik'-Kennzeichnung von gentechnik-freien Lebensmitteln.“

Dieses „Ohne Gentechnik“-Label wird vom Verband Lebensmittel Ohne Gentechnik vergeben. Er setzt sich für die gentechnikfreie Fütterung von Tieren ein. Den Vorstoß der Gentech-Freunde bezeichnete er als „wenig durchdacht und populistisch“. „Ziel der Petition ist nicht die differenzierte Verbraucherinformation zum Thema Gentechnik, sondern der Versuch gentechnisch veränderte Pflanzen in der Lebensmittelindustrie salonfähig zu machen“, so Geschäftsführer Alexander Hissting.

Den Vorwurf des Forums, Landwirte könnten Fleisch, Käse oder Milch als gentechnikfrei bewerben, wenn die Kühe einige Wochen kein Gentech-Futter bekommen hätten, wies Hissting zurück. Wer das „Ohne Gentechnik“-Siegel erhalten will, muss Milchkühe zunächst mindestens drei Monate lang mit gentechnisch nicht-veränderten Pflanzen füttern, bevor er damit werben kann – und danach müsse er „kontinuierlich weiter 'Ohne Gentechnik' füttern“, teilt der Verband auf seiner Website mit. Bei Rindfleisch beträgt der Vorlauf 12 Monate, die Tiere müssen zudem mindestens drei Viertel ihres Lebens gentechnikfrei gefüttert worden sein.

Dass es solche Fristen überhaupt gibt, soll Landwirten den Ausstieg aus der Gentechnik erleichtern, erklärt der Verband. „Durch die Fristen hat der Gesetzgeber der Situation Rechnung getragen, dass die 'Ohne-Gentechnik'-Produktion erst einmal in Schwung kommen muss. Er ist dabei den Landwirten entgegengekommen, die auf eine gentechnikfreie Produktion umstellen möchten.“ Ansonsten täten sie nichts – und das helfe am Ende weder der Umwelt noch den Verbrauchern.

Kritik kommt auch von Greenpeace. „Die vom Forum Grüne Vernunft geforderte Kennzeichnung bewirkt nicht mehr Transparenz, sondern im Gegenteil, sie führt zu mehr Desinformation“, erklärte Stephanie Töwe von der Umweltorganisation. „Eine Kennzeichnung sollte Unterschiede deutlich machen. Der Vorschlag der 'Grünen Vernunft' zielt darauf, diese Unterschiede zu verwischen und die Entscheidung beim Kauf zu erschweren. Dieser Verein will nicht aufklären, sondern verwirren.“ [dh]

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